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Das verlorene Land

Das verlorene Land

Titel: Das verlorene Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Birmingham
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wie der grauhaarige, einäugige alte Kauz hinter dem Tresen Mirsaad fragte, ob sie vielleicht unrein sei. Eine jüngere, weniger erfahrene Agentin als Caitlin hätte womöglich empört protestiert, aber damit hätte sie nur ihre beschränkten Sprachkenntnisse verraten. Sie zog es vor, das Gerede in ihrer Umgebung zu ignorieren, während sie umherging. Es machte sowieso keinen Sinn, sich über die Dummheit und Rückschrittlichkeit eines anderen Menschen aufzuregen. Für sie waren das alles nur Informationen, die sie aufnahm
und abheftete für den Fall, dass sie sie in der Zukunft einmal verwenden musste, was wahrscheinlich aber gar nicht der Fall war.
    Sie saß demütig an dem kleinen runden Tisch unter einer Markise und beobachtete das kleine Büro auf der anderen Straßenseite. Ein Plakat mit dem Wappen des Berliner Senats klebte an den mit Brettern zugenagelten Schaufenstern. Wahrscheinlich waren die Fensterscheiben schon so oft eingeschlagen worden, dass man sie lieber durch Bretter ersetzt hatte. Ein Metallgitter schützte die Eingangstür, die alle paar Minuten aufging, wenn Besucher ein und aus gingen.
    Mirsaad kam mit dem Falafel-Brot und ging nochmal zurück, um den Tee zu holen.
    »Schmeckt’s gut?«, fragte er, als er sich hinsetzte.
    Sie nickte. Die Hintergrundmusik wurde aufgedreht.
    Mirsaad beugte sich nach vorn und sagte leise auf Englisch: »Wir können hier frei sprechen, wenn wir vorsichtig sind. Ich kenne den Besitzer. Er ist mit meiner Cousine verheiratet.«
    »Dieser alte Kerl?«
    Sie deutete auf den einäugigen Alten hinter dem Tresen, bevor sie einen weiteren Bissen von ihrem Brot nahm. Es war scharf gewürzt, und Joghurtsauce tropfte heraus, und sie mochte die knusprige Kruste der Falafel, unter der sich eine weiche würzige Masse verbarg. Das dazugehörige Tabouleh erinnerte sie wie immer an geschreddertes Unkraut.
    Mirsaad grinste kurz. »Nein, das ist nur die Aushilfe. Und der versteht kein Englisch.«
    Sie entschied, diese Aussage nicht allzu ernst zu nehmen. Immerhin wusste niemand außer Mirsaad, dass sie Arabisch sprechen konnte.
    Während sie einen Schluck von ihrem Tee nahm, behielt sie das kleine Büro gegenüber im Auge und änderte
ihre Sitzhaltung, weil die Maschinenpistolen unter ihrem Mantel unangenehm gegen ihre Brust drückten.
    »Und was für eine Reportage wirst du nun also machen?«, fragte sie.
    Mirsaad kaute zu Ende, bevor er antwortete. »Eine, die mich bei den braven Bürgern von Neukölln sicher nicht beliebt machen wird«, sagte er leise. »Die Abstimmung über die Scharia ist ein großes Thema. Es spaltet die Gesellschaft. Die Rechten benutzen es, um die Ressentiments gegenüber den Einwanderern zu schüren. Die moslemischen Gemeinden benutzen es, um sich weiterhin vom Rest der Bevölkerung abzuschotten. Gleichzeitig quälen sich die liberalen Deutschen mit Schuldgefühlen wegen ihrer ›Versäumnisse in der Vergangenheit‹ und fordern dazu auf, Achtung vor anderen Kulturen zu haben.«
    »Die Guten trauen sich nicht, und die Schlechten putschen sich mit Gefühlen auf, ist es so?«
    »So ähnlich, ja«, sagte er, nachdem er verstanden hatte, was sie meinte.
    »Und was ist deine Meinung?«
    »Na ja, man müsste natürlich eine Balance schaffen«, sagte er. So wie er sie dabei anschaute, war klar, dass genau damit nicht zu rechnen war. Er beugte sich nach vorn und sprach leise weiter. »Ich sehe nicht, dass dies alles zu einem guten Ende führt. Im Jahr 2001, noch vor dem Effekt, erreichte die Islamische Föderation von Berlin nach zwanzig Jahren unermüdlicher Versuche die Zulassung rein islamischer Schulen, in denen die moslemischen Kinder unterrichtet werden. Der Staat hat keinen Einfluss auf den dort stattfindenden Unterricht, der eher auf Arabisch als auf Deutsch stattfindet und normalerweise hinter geschlossenen Türen abgehalten wird, vor allem für die Mädchen. Kurz darauf wurde der Hidschab immer mehr zur üblichen Kleidung für Frauen. Die Mädchen
verließen die Schulen so früh wie möglich. Männliche Studenten taten sich zusammen, um durchzusetzen, dass ihre Schulen in Madrasas umgewandelt werden. Es ist eine Katastrophe für die Kinder, und für Deutschland …«
    Er machte eine Pause, um sich in dem kleinen Café umzuschauen.
    »Die Einführung der Scharia im Zivilrecht für bestimmte Regionen wird sich ebenfalls negativ auswirken, nur noch schlimmer, wenn du verstehst, was ich meine.«
    »Ja.« Sie nickte und behielt das Gebäude auf der anderen

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