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Das verlorene Land

Das verlorene Land

Titel: Das verlorene Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Birmingham
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sauberschrubben konnte. Aber er wusste auch, dass es Dinge gab, die man nie mehr abwaschen konnte. Und er, der gerade ein Massengrab angelegt hatte, spürte, dass er sich auf eine Art verunreinigt hatte, die er bestimmt nicht mehr loswurde.

39
    Kansas City, Missouri
    »Mr. President, ich habe hier die neuesten Berichte über die Lage in New York«, sagte General Franks.
    »Legen Sie los«, sagte Kipper, und ein makabres Gefühl des Schreckens durchströmte ihn. Die Soldatin ohne Gesicht aus dem Aufwachraum ging ihm nicht aus dem Sinn. Kurz aufblitzende Visionen davon, wie sie wohl unter ihren Bandagen wirklich aussah, peinigten ihn: kein Unterkiefer, eine zerschnittene Zunge, die obszön zwischen den rohen Knochen heraushing, die lockeren Zähne ihres Oberkiefers, die wie zerbrochene Steine einer geborstenen Mauer wirkten.
    Hatte sie Kinder? Viele Frauen beim Militär hatten Nachwuchs. Andererseits, wenn sie im Land gewesen waren, als die Energiewelle kam … Er schob diesen Gedanken beiseite, aber er wurde nur von noch schlimmeren gefolgt. Wie würden ihre Kinder reagieren, wenn sie die Mutter in einem derartigen Zustand wiedersahen? Er stellte sich vor, wie seine eigene Tochter aufschreien würde, wenn er und Barbara ohne Gesichter nach Hause kämen. Kipper erschauerte und schob den Gedanken beiseite.
    Um Himmels willen, wie konnte jemand wie General Franks so etwas nur ertragen? Wie hatten Bush oder Clinton das ertragen können?
    Franks erschien vor ihm auf dem Bildschirm an der Wand des speziell abgesicherten Video-Konferenz-Zentrums im Cerner Campus. Der General nahm den breiten Bildschirm
fast vollständig ein. Kleinere TV-Apparate zeigten Bilder aus den Nachrichten von Sendern aus aller Welt, die meisten Moderatoren sprachen über die Situation in New York City. Die Ausrüstung des Konferenzzentrums war aus Geräten zusammengebaut worden, die man in den Elektronikmärkten der Stadt gefunden hatte. Hinzu kamen militärische Spezialapparate, einige davon zur Verschlüsselung der Kommunikationswege, sowie Kameras aus dem lokalen Nachrichtenstudio von KMBC. Diese technischen Errungenschaften hatten alle einen Vorzug: Sie waren umsonst zu bekommen gewesen.
    Der Vorsitzende des Generalstabs schaute ihn aus einem ähnlichen, offenbar aber besser ausgerüsteten Raum in Fort Lewis an. Die Verteidigungsministerin hätte auch online sein sollen, aber sie befand sich gerade in London, wo sie mit dem britischen Premier darüber verhandelte, welche zusätzliche Hilfe die Royal Navy bei den Atlantik-Blockaden leisten könnte, um die Schiffe der Plünderer aus New York abzufangen. Kipper hatte den Verdacht, dass die Briten, obwohl sie noch immer Verbündete waren, einen hässlichen Kuhhandel mit ihnen vorhatten. Genauso wie die Vereinigten Staaten es im Zweiten Weltkrieg getan hatten. Es gibt keinen Freund, nur Interessen, hatte mal ein bekannter Politiker gesagt. Wer war das noch gewesen? Es fiel ihm nicht ein.
    Neben Kipper saß Jed Culver hinter einer großen Wand aus Ringbüchern, vor sich drei terrestrische zivile Telefone, außerdem einen grünen und einen schwarzen Apparat. Kippers militärischer Berater, Colonel Mike Ralls, stand außer Sichtweite in einer Ecke des Raums, falls er gebraucht wurde. Außer den dreien war niemand in dem kleinen Zimmer. Wahrscheinlich hätten mehr auch gar nicht hineingepasst. Kippers omnipräsenter Schatten, der Air Force-Offizier mit dem Koffer, saß auf einem Plastikstuhl draußen im Flur.

    »Es ist uns gelungen, die Insel von Manhattan ein Stück weiter zu erobern, aber das Wetter macht uns einen Strich durch die Rechnung«, sagte Franks. »In den letzten achtundvierzig Stunden hat es sehr stark geregnet. Angesichts des schlechten Zustands der Infrastruktur ist ein Ergebnis davon, dass die Straßen überschwemmt wurden, und zwar im wahrsten Sinne des Wortes. Das macht es uns in einigen Vierteln völlig unmöglich, weiter voranzukommen.«
    Das war keine große Überraschung für Kipper. In diesem Fall kannte er sich mit dem Schlachtfeld ausnahmsweise einmal besser aus als seine Kommandanten. New York ähnelte ein bisschen Venedig. Eines Tages würde das Wasser so weit ansteigen, dass die Stadt nicht mehr weiter existieren konnte.
    Franks sprach weiter. »Die Feinde kämpfen hartnäckig um jeden Straßenzug, und zwar in sehr lockeren Verbänden in Kompaniestärke. Sie benutzen das urbane Umfeld sehr effektiv, und es ist ihnen gelungen, unsere Möglichkeiten deutlich einzuschränken.

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