Das verlorene Land
er selbst gewesen. Doch jetzt trat Cooper Aronson aus dem niedergebrannten ehemaligen Café und fluchte leise vor sich hin. In der Ferne hörten sie Donnergrollen, und Miguel spürte ein paar kalte Regentropfen im Nacken.
Aronson schüttelte den Kopf, und es war klar, dass es dazu eigentlich nichts mehr zu sagen gab.
»Ich denke, wir sollten zusehen, dass wir diese armen Menschen begraben«, sagte er im Ton eines Mannes, der sich zu etwas zwingen muss, das er lieber verdrängt hätte. »Ich schicke Adam und Sofia zu den andern. Wir brauchen Hilfe.«
Miguel nickte. »Wir können währenddessen schon mal einige von den Toten abschneiden. Das ist keine Arbeit für Frauen oder junge Leute.«
Der Mormone fuhr ihn wütend an: »Für uns ist das auch keine gute Arbeit, Miguel.« Gleich darauf entschuldigte er sich dafür, dass er die Kontrolle über sich verloren hatte. »Tut mir leid, mein Freund. Ich schlage vor, dass wir alle Leichen ins Café bringen und dann die Wände zum Einsturz bringen. Das ist zwar kein richtiges Grab, aber mehr können wir nicht tun. Wir haben keine Zeit, um für jeden ein eigenes Grab auszuheben.«
Der Regen fiel jetzt dichter und verdeckte den Blick auf die stillgelegten Eisenbahngleise im Süden der Stadt. Miguel zitterte innerlich. Das würde eine sehr unangenehme, nahezu unerträgliche Aufgabe werden.
»Es ist immer noch besser als das, was ihnen ohnehin schon zugestoßen ist, Cooper«, sagte er. »Ich denke auch, dass es leicht sein wird, diese Mauern umzustürzen. Sie werden ein gutes … wie heißt das nochmal, wenn man ein Grab aus Steinen baut?«
»Ein Cairn«, sagte Aronson. »So nennt man einen Grabhügel aus Steinen. Wir müssen nur aufpassen, dass wir nicht selbst unter die Mauern geraten.« Er rief nach Adam, der noch immer die Auslagen des Buchladens betrachtete. Er kam zurück, gefolgt von Sofia, beide hielten einen Stapel Taschenbücher in den Armen und sahen ein wenig fröhlicher aus als vorher. Miguel las verwundert einige der Titel, die Adam sich ausgesucht hatte. Ein orangefarbenes Buch hieß »Die Mars-Chroniken«, es lag ganz oben, das darunter hieß »Das Reich der Inseln – Gefährten des Sturms«. Wer die Bücher geschrieben hatte, konnte er nicht erkennen, aber es waren nicht die Art von Büchern, die man ihm gegeben hatte, um seine Englischkenntnisse für den Sprachtest zu verbessern. Sofia, das sah er jetzt, hatte sich etwas ausgesucht, das für ein junges Mädchen angemessener war. Offenbar waren es literarische Werke, so wie sie aussahen. Die Autorin hieß Helen Fielding. Eine Autorin mit so einem Namen schrieb bestimmt hohe Literatur.
»Bruder Adam, ich möchte, dass du mit Sofia zu den anderen reitest und Benjamin bittest herzukommen, damit er uns beim Begraben dieser Menschen helfen kann«, sagte Aronson. »Sagt Willem, dass wir heute Nacht am See unser Lager aufschlagen und morgen früh die Vorräte im Wal Mart ergänzen werden. Und er soll aufpassen, ob noch mehr Road Agents in der Nähe sind … oder Truppen von der Texas Defense Force.« Er wandte sich an Miguel. »Wie lange ist es wohl her, seit die Agents hier gewesen sind?«
Miguel kratzte sich im Nacken und verzog das Gesicht, während er einen der Gehängten genauer anschaute.
»Das kann ich auch nicht so genau sagen, aber wenn man sich den Zustand der Leichen ansieht, ist es vielleicht zwei Wochen her. Sie sind immer noch schwarz und feucht, aber sie haben schon Gas abgelassen. Bei Vieh ist das nach zehn Tagen der Fall. Es sind auch noch viele Insekten auf den Leichen, was man bei vertrockneten Leichen nicht sieht. Also würde ich sagen, etwa zwei Wochen.«
Adam sah jetzt ziemlich grün im Gesicht aus und entschuldigte sich hastig, um seinen Auftrag durchzuführen.
»Ich gehe mal lieber los«, murmelte er. »Sonst wird es noch dunkel.«
Sofia sah auch nicht gerade gesund aus und schloss sich ihm an.
»Seid vorsichtig«, rief Miguel hinter ihnen her, als er zu seinem Pferd zurückeilte. Er war gar nicht gern von Sofia getrennt, aber zweifellos waren die Road Agents schon seit längerem nicht mehr hier gewesen. Bis zum Lager der anderen war es nur ein kurzer Ritt, und sie waren beide bewaffnet. Und wehe dem, der glaubte, Sofia würde nicht auf ihn anlegen und schießen, wenn es darauf ankam.
Die dicken Regentropfen fielen immer dichter und zwangen die beiden Männer, ein Stück die Straße hinunter zu gehen und Schutz im Eingang eines Fitnessclubs zu suchen. Es war ein großes
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