Das verlorene Land
zwischen dem Zischen der abgefeuerten Raketen hörte, waren sie immer noch dabei, zwischen ihren Abschussvorrichtungen herumzutanzen und Luftsprünge zu vollführen. Yusuf schüttelte abfällig den Kopf. Er war erst fünfzehn Jahre alt, vielleicht auch sechzehn, niemand wusste das so genau. Aber er war schon seit zehn Jahren Soldat, und in dieser Zeit hatte er zahllose Männer, Frauen und auch Kinder, von denen er ja auch einmal eins gewesen war, gesehen, die umgekommen waren, nur weil sie das Kriegshandwerk nicht ernst nahmen.
Eine weitere Raketensalve zischte in den Himmel, beschrieb einen Bogen über den Fluss hinweg und hinterließ schmutzig graue Rauchwolken im Himmel. Yusuf saß in seinem selbst gebauten Bunker gegen eine Stofftasche voller
Munition gelehnt und drückte das AK-47 gegen die Brust. Er konnte den Abschuss der Raketen nicht sehen und auch nicht, wie sie auf der anderen Seite des Flusses aufkamen. Aber er konnte hören, wie sie auf die Köpfe der Ungläubigen regneten, und die Donnerschläge der Detonationen, die über den Fluss kamen wie ein Widerhall des Gottesgerichts.
Gelächter und der obszöne Text eines somalischen Trinklieds drangen an sein Ohr.
Sie tranken!
Er seufzte tief. Allahs Richtspruch würde heute zweifellos die Sünder auf beiden Seiten des Flusses treffen.
Yusuf wagte einen Blick über die Barrikade aus zerborstenen Betonblöcken, Ziegelsteinen und loser Erde, hinter der er Schutz gesucht hatte. Zwischen dem Aufheulen der Raketen vernahm er das entfernte Summen der Kampfhubschrauber. Es war ein furchterregendes Geräusch, das er nur zu gut kannte. Von seinem Aussichtspunkt aus überblickte er ein rechteckiges Feld, das mit fetten, hohen Grasflecken und einer Ansammlung grauer verkrüppelter Bäume bewachsen war. Von hier aus konnte er das südliche Ende von Manhattan nicht sehen, aber er hatte einen guten Blick auf eine andere Insel direkt gegenüber dem großen Hafenbecken, das Ellis Island in zwei Teile trennte. Es sah aus, als würde ein Schwarm kleiner metallischer Insekten aus der Mitte dieser Insel aufsteigen. Die Offiziere des Emirs hatten ihnen gesagt, dass sich dort ein Stützpunkt der amerikanischen Miliz befand und dass sehr wahrscheinlich von dort ein Gegenangriff zu erwarten war.
Yusuf umfasste den Griff seiner Waffe noch fester und staunte ein klein wenig darüber, wie nervös er war. In seinem kurzen Leben hatte er schon viele Kämpfe ausgefochten, die meisten davon allerdings in Afrika gegen primitivere Gegner. Als die vagen Umrisse der Insekten sich
deutlicher abzeichneten, erkannte er, dass es sich bei diesen Helikoptern um Apaches handelte, die er gut kannte, und es erfüllte ihn mit Stolz, wie weit er schon herumgekommen war. Manchmal dachte er an seine erste Truppe, die aus ugandischen Kindersoldaten bestanden hatte. Er war von ihnen entführt worden und hatte fünf Jahre lang mit ihnen gekämpft. Waren das nicht die besten, härtesten und unbarmherzigsten Krieger gewesen, mit denen er je zusammen war? Jetzt befand er sich Tausende von Kilometern von zu Hause entfernt, jedenfalls von dem Kontinent, den er Heimat nannte, und erinnerte sich an seine Kameraden von damals und ihren sagenhaft grausamen Kommandanten Captain Kono. Inzwischen kamen sie ihm nur noch wie dumme Wilde vor. Sie hatten aus dem gleichen Grund wie er gekämpft, weil Captain Kono sie entführt und ihre Familien umgebracht hatte. Er hatte ihnen gedroht, sie ebenfalls zu töten, wenn sie nicht kämpften. Yusuf prüfte ein letztes Mal seine Waffe und schaute sich vergeblich nach den anderen Mujahedin um, die diesen wichtigen Stützpunkt zusammen mit ihm verteidigen sollten. Er murmelte ein leises Gebet als Dank dafür, dass der Emir ihn aus den Fängen von Kono und seiner lächerlichen Göttlichen Befreiungsarmee befreit und ihm den Weg zu dem einzig wahren und barmherzigen Gott gezeigt hatte.
»Allahu akbar«, sagte er leise vor sich hin. Nicht heftig, nicht überheblich, sondern still und ehrfürchtig und mit großer Liebe im Herzen, die er der unendlichen Güte Allahs entgegenbrachte, der einen ehemaligen Ungläubigen in die Reihen seiner Auserwählten aufgenommen hatte.
Er kauerte sich unterhalb des Rands seines Unterstands hin. Die Männer des Emirs hatten ihn sehr gut ausgebildet. Er wusste alles über die wundersame technische Ausrüstung, die den Kampftruppen der Amerikaner noch immer zur Verfügung stand, obwohl der rächende Gott ihr
Reich zerstört hatte. Er wusste sehr genau,
Weitere Kostenlose Bücher