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Das verlorene Land

Das verlorene Land

Titel: Das verlorene Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Birmingham
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Eimer durch die Tür schleuderte, nur den Bruchteil einer Sekunde, bevor Milosz das Gleiche tat. Die schweren selbst gebastelten Bomben flogen durch die Luft über die behelfsmäßige Schanze der Dschihad-Kämpfer. In der surreal anmutenden
Stille, die sich in seinem Kopf ausbreitete, hörte Milosz, wie Gardener die Zündung betätigte.
    Ein kleiner Funke brachte die Bombe, bestehend aus der Ladung von einem halben Dutzend Minen, direkt über den Köpfen der Feinde zur Explosion; sie verspritzte ihre tödliche Schrapnellladung aus Tausenden von Stahlkügelchen, die sich in einer Geschwindigkeit von über tausend Metern pro Sekunde in alle Richtungen ausbreiteten. Die Explosion übertönte alle anderen Geräusche in dem Bibliothekssaal, und die Druckwelle warf Milosz zu Boden, obwohl er neben dem Durchgang zum Lesesaal hinter der Wand Schutz gesucht hatte
    »Los, los, los!«, kommandierte Wilson. »Bewegt eure Ärsche, schnell!«
    Milosz bemerkte nur undeutlich die vielen blitzenden Stahlklingen um sich herum, während er um die Ecke bog, durch die Flügeltüren in den Lesesaal stürmte und das Feuer eröffnete.
     
    »Fuck you, George Bush!«
    Selim der Algerier war der Letzte aus seinem Saif, der umkam. Er wurde in die Stirn getroffen, und sein Gehirn und die Hälfte seines Schädels zerspritzten und trafen Yusuf direkt ins Gesicht. Die eklig riechende organische Masse brannte ihm in den Augen, als er versuchte sie wegzuwischen.
    Er konnte nicht glauben, dass jemand so dumm war, den Märtyrertod einzugehen, nur um die sehr kurze Befriedigung zu empfinden, den Feind verhöhnt zu haben. Er schüttelte den Kopf und duckte sich noch tiefer in den schützenden Unterstand, den er sich inmitten des chaotischen Durcheinanders der zahllosen Lesepulte, Stühle und Bücherregale gebaut hatte. Tausende von Papieren, Karteikarten und Handbüchern hatten sich aus den Schränken ergossen und erinnerten ihn auf seltsame Art an die Zeit
in der Missionsschule in seinem kleinen heimatlichen Dorf, wo er ein einfaches Leben geführt hatte, bis Captain Kono kam und ihm alles wegnahm.
    Es war schon komisch, wie das Gedächtnis arbeitete. Sein ganzes Leben lang hatte er sich nur an winzige Bruchstücke von Träumen aus jener Zeit erinnert. Aber in den letzten ein oder zwei Stunden, seit ihm klargeworden war, dass er wahrscheinlich in diesem Raum hier sterben würde, war er wieder in der Lage, sich an Bilder und Szenen aus dem Leben zu erinnern, von dem er gar nichts mehr gewusst hatte. Eine Frau mit dicken weichen Armen und einem großen Bauch, auf dem er herumgeturnt war und dabei gekichert hatte, während sie ihm ein Lied vorsang und ihn kitzelte, bis er nicht mehr konnte vor Lachen. Ein dünner alter Mann mit grauen Schläfen, der ihn an einen Fluss führte und zwei Angeln bei sich trug. Er selbst, wie er über ein staubiges Feld rannte und fröhlich einen Ball vor sich herkickte, während andere Kinder hinter ihm herliefen und seinen Namen riefen. Er wusste, dass sie seinen Namen riefen, aber so sehr er sich auch konzentrierte, er konnte ihn nicht verstehen.
    »Fuck you, George Bush!«
    Und dann starb Selim auf diese lächerliche und überflüssige Art, und seine Erinnerungen an eine Kindheit in Algerien wurden direkt in Yusufs Gesicht gespritzt. Der ehemalige Kindersoldat, der nun erwachsen geworden war, brüllte auf vor Wut und hob sein AK-47 über den Rand der Barrikade aus umgekippten Pulten, hinter der er sich verbarg, und feuerte seine restliche Munition ab, bis der Hahn seines Gewehrs nur noch klickte und nichts mehr passierte.
    Sein Kopf dröhnte, und seine Ohren fühlten sich an, als hätte jemand einen spitzen Stock hindurchgestoßen, so laut waren die Geräusche des Kampfes, die jetzt noch in dem großen Saal nachhallten. Es muss mal ein sehr schöner
Raum gewesen sein, überlegte er, bevor das alles passiert ist. Das Wandbild unter der Decke war voller Ruß und von Einschlägen übersät, schwarze Flecken überdeckten das einstmals großartige Kunstwerk. Es war wirklich eine Schande. Er wusste, dass einige besonders strenggläubige Moslems jede Form von Kunst ablehnten, weil sie die Worte des Propheten gegen derartige Bildnisse viel strenger auslegten, als es der Prophet gemeint hatte.
    Er duckte sich, als er sah, wie eine Handgranate durch die Tür geworfen wurde. Sie detonierte mit einem lauten Krachen und ließ einen tödlichen Schauer von Schrapnellkugeln gegen seine Barrikade prasseln. Wie viel hatte sich doch in

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