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Das verlorene Land

Das verlorene Land

Titel: Das verlorene Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Birmingham
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Ding bemerkte, das er in dieser Stadt der Merkwürdigkeiten bisher zu sehen bekommen hatte: zwei große, mit Klebeband umhüllte Metalleimer flogen in einem hohen Bogen durch die Luft, drehten sich um die eigene Achse und zogen einen Schwanz aus Draht hinter sich her.

    Yusuf Mohammed stellte das Feuer ein und starrte die eigenartigen fliegenden Dinger verblüfft an. Wieder hatte er das Gefühl, an einem ganz anderen Ort zu sein, sich von dieser Welt zu lösen und in ein Leben einzutauchen, das er vor vielen Jahren hinter sich gelassen hatte. Er war wieder ein kleiner Junge und stand am Ufer eines Flusses, der in der Nähe des Dorfes entlangfloss. Der große dünne Mann mit den grauen Schläfen war neben ihm und erklärte ihm, wie man mit einer Angel umging. Er beherrschte es noch nicht sehr gut, denn dies war das erste Mal. Aber der Mann war nicht nur sehr geduldig mit ihm, sondern schien sich auch über das Kichern und die aufgeregten Schreie des Jungen zu freuen, während der bunte Köder am Angelhaken überall hinflog, nur nicht, wohin er sollte. Der Himmel wölbte sich über ihnen wie eine schützende blaue Decke, die Sonne spendete eine angenehme Wärme.
    Der alte Mann wollte nicht, dass er in die Sonne schaute, aber Yusuf Mohammed hörte nicht auf ihn. Er schaute auf und lächelte, und die Sonne lächelte zurück, und die ganze Welt wurde von ihrem hellen Licht erfüllt.
     
    »Feuer einstellen!«, schrie Milosz. »Stellt das verdammte Feuer ein!«
    Das Knattern des Gewehrfeuers brach ab, und es klang so ähnlich, wie wenn sein Traktor zu Hause nachdieselte, nachdem er den Motor abgeschaltet hatte. Ein paar kurze Salven prasselten noch gegen die Wände, gefolgt von wenigen einzelnen Schüssen, die schließlich von einem dumpfen Schlag beendet wurden.
    Ein durchdringendes Jammern hallte ihm aus dem mit Marmor verkleideten Lesesaal entgegen. Durch den Rauch und Pulverdampf konnte Milosz die Frau, die ein Kind in den Armen hielt, kaum erkennen. Sie wiegte sich vor und zurück und schrie, während das Baby vor sich hinweinte.

    Die hohen Fenster des kathedralenartigen Raums waren während des Kampfes zu Bruch gegangen, und von draußen wehte der Regen herein. Nachdem der Rauch verflogen war, konnte Milosz sie sehen.
    Leichen. Sie lagen zwischen den aufgeschichteten Tischen und Stühlen im Lesesaal. Sie hielten ihre Kinder fest, geduckt, mit dem Rücken zur Tür, durch die er und Gardener eben eingedrungen waren. An den Wänden waren massenweise Konserven mit Nahrungsmitteln aufgestapelt, Eintöpfe, Fleisch, Gemüse, alles wahrscheinlich noch halbwegs genießbar.
    Eine Dose mit Ananas rollte über den Boden und blieb neben Milosz’ Stiefeln liegen. Durch ein Loch im Blech lief der gelbe Saft heraus und vermischte sich mit dem Blut eines kleinen Mädchens, dem der Hinterkopf fehlte.
    Zwei der überlebenden Milizionäre, die den Angriff von einem oberen Stockwerk aus beobachtet hatten, schauten sich an.
    »Wie viele Granaten haben wir hier reingeworfen?«, fragte der eine.
    Der andere schüttelte den Kopf. »Keine Ahnung.«
    »Zu viele«, stellte Gardener fest und wischte sich mit dem Handrücken über die Stirn. Obwohl sehr kalte feuchte Luft hereindrang, schwitzte sie heftig, und der Pole musste bei ihrem Anblick seltsamerweise an ein riesiges Käserad denken. »Oder vielleicht auch zu wenige. Aber das spielt jetzt auch keine Rolle mehr, oder?«
    »Werden wir deswegen Probleme bekommen?«, fragte der, der sich über die Anzahl der Granaten gewundert hatte.
    »Wohl kaum«, sagte Milosz. »Wahrscheinlich wird man euch Medaillen anheften. Und den Sold um hundertvierzig Dollar pro Monat erhöhen, schätze ich.«

51
    Kansas City, Missouri
    Die Stadt kam nie zur Ruhe. Die Wiederaufbaumaßnahmen verlangten, dass ständig irgendetwas irgendwohin transportiert werden musste. Kipper empfand es als tröstlich, das mit anzusehen, als er am frühen Morgen mit vor Müdigkeit brennenden Augen darum kämpfte, in jeden Beileidsbrief etwas Persönliches einfließen zu lassen. Er schrieb jeden Brief mit der Hand, setzte jedes Komma selbst und bemühte sich, seine Schrift, die nach vielen Jahren des Nichtbenutzens unleserlich geworden war, wieder ordentlich aufs Papier zu bringen. Immerhin ging es auch darum, dafür Buße zu tun, dass er diese Männer und Frauen in den Tod geschickt hatte. »Sehr geehrte Mrs. Kohler«, schrieb er und ignorierte den Krampf in seinen Fingern. »Es tut mir furchtbar leid, Ihnen mitteilen zu müssen

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