Das verlorene Observatorium
einer Konstruktion niemals möglich. In einer Badewanne liegt man in seinem eigenen Dreck. Die Dusche andererseits spült den Schmutz definitiv herunter und schickt ihn umgehend durch das Abflußloch der Vergessenheit entgegen.
Unmittelbar über dem Spülkasten der Toilette befand sich merkwürdigerweise ein Spiegel, in dem der Pförtner beim Wasserlassen sein Gesicht studieren mußte, möglicherweise nannten Pförtner diese Handlung aber auch Urinieren. In dem Spiegel sah der Pförtner sein Gesicht. Und in diesem Gesicht mußte er eine Zeit vor seinem Pförtnertum gesehen haben, er mußte eine Kindheit gesehen haben, vielleicht Spielzeuge. Vielleicht sogar Glück. Auf diesem Gesicht befanden sich Male. Male, die sich überschnitten. Überall waren Male. Nadelstiche der Unvollkommenheit.
Der Pförtner hatte rötlichgelbe Sommersprossen. Sie bedeckten sein Gesicht völlig. Unordentliche Gruppen verzerrten die Präzision seiner Nase, seiner Wangenknochen, seiner Lider. Er hatte seit über fünfzig Jahren geschrubbt und geschrubbt, und dennoch waren sie nicht abgegangen. Sie verliehen ihm etwas Kindisches. Es war, als bestünde sein Körper darauf, sich den Anschein eines Kindes zu bewahren, bis er aufhörte, Pförtner zu sein und eines letzten, glücklichen Tages eine Person wurde. Eine pförtnerlose Person. Eine Personperson.
Pförtner war sein Name: Außer daß dies der Name ist, der Torwächtern oder Portiers oder Hausmeistern gegeben wird, ist Pförtner zugleich die Bezeichnung für den Pylorus des Magens. Am Ende des Pylorus sitzt der Musculus sphincterpylori, ein kräftiger Schließmuskel an der Verbindungsstelle zwischen Magen und Zwölffingerdarm, welcher der Nahrung Einlaß in den Verdauungstrakt gibt. Dieser ringförmige Muskel entscheidet, ob die Nahrung passieren darf oder die Weiterreise untersagt wird. Zu einem als Pylorusstenose bekannten Leiden kommt es dann, wenn sich der Muskel zusammenzieht und es fürderhin kategorisch ablehnt, überhaupt irgend etwas durchzulassen. Dies führt zu wiederholtem Erbrechen, bisweilen von Nahrung, die vierundzwanzig Stunden zuvor aufgenommen wurde, und bewirkt eine Alkalose, eine Verschiebung des Säure-Basen-Gleichgewichts im Körper hin zur alkalischen Seite. Wenn sich dieser Muskel beharrlich weigert, sich zu entspannen, ist eine als Pyloromyotomie bekannte Operation erforderlich, um dieses Tor gewaltsam zu öffnen.
Der Pförtner, Muskel, nicht Mann, mag sich weigern, sich zu öffnen und damit Aufspaltung, Abtransport und Verdauung von Nahrung zu verhindern, was wiederum den ganzen Körper in Schach hält, mit katastrophalen Folgen.
Der Pförtner, Mann, nicht Muskel, beaufsichtigte den Abtransport von Unrat, der sich im Körper des Observatoriums ansammelte. Allabendlich stellten wir unsere vollen Müllbeutel vor unsere Wohnungstüren, der Pförtner beseitigte sie jeden Morgen. Und der Pförtner sorgte, von Zwanzig einmal abgesehen, für die Entfernung aller Eindringlinge, die zufällig auf das Observatorium stießen, besonders der pubertierenden Jungen, die gelegentlich durch die kaputten Fenster der Erdgeschoßwohnungen einstiegen, um Zigaretten zu rauchen, Dosenbier zu trinken und Magazine voller nackter Frauen einer näheren Untersuchung zu unterziehen.
Wenn es zur Pylorusstenose kam, wenn der Pförtner aufhörte sauberzumachen, würden wir in Schmutz und Unrat ertrinken.
Bei meinem einzigen Besuch in der Wohnung des Pförtners gönnte ich mir ein Souvenir. Die Zweituniform des Pförtners hing ordentlich und blitzsauber in seinem Kleiderschrank. Einen Messingknopf nahm ich für mich mit (Position 803). Eine Weile nachdem ich diesen Knopf genommen hatte, verwirrte mich der Pförtner. Ich sah ihn stets tadellos gekleidet in seiner Uniform, an der kein einziger Knopf fehlte. Zunächst nahm ich an, daß er nur eine Uniform trug. Dann vermutete ich, daß er einen Ersatzknopf gekauft hatte. Schließlich begriff ich. Am dritten Knopf von unten hatte der Faden stets eine geringfügig andere Farbe. Ich stellte mir vor, wie der Pförtner sich jedesmal mit Nadel und Faden hinsetzte, wenn es Zeit war, die Uniform zu wechseln, und einen einzelnen Knopf von der einen auf die andere Uniformjacke versetzte.
An diesem ersten Tag, den die neue Bewohnerin bei uns verbrachte, machte sich der Pförtner, nachdem er jeden Beweis für mein Kommen beseitigt hatte, auf die Suche nach weiterem Schmutz. Ich ging hinab in den Keller.
Die Reise zum Sinn
Dort unten, wo der
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