Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das verlorene Observatorium

Das verlorene Observatorium

Titel: Das verlorene Observatorium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
Vom Netzwerk:
Hüftknochen. Und Zwanzig, die, was den Verkehr betraf, vorsichtiger war, rannte hinüber, um den Hund während seiner letzten Atemzüge zu streicheln und in unser Haus zu tragen.
    Am nächsten Morgen begrub Zwanzig ihren Mann in der harten, staubigen Erde auf dem Gelände des Observatoriums, wo einst die Blumenbeete gewesen waren. Sie ließ ihren Schlüpfer herunter und pißte auf das Grab. Dann schnupperte Zwanzig alle Wohnungen ab und entschied sich für Wohnung 20. Wohnung 20, oberste Etage, vor dem Fahrstuhl, der nicht mehr funktionierte, vor dem Fahrstuhl, der einst funktioniert hatte und zwar so schnell funktioniert hatte, dass er Mr. Alec Magnitt tötete und Mr. Alec Magnitts Taschenrechner zertrümmerte (Position 737). Doch davon wußte Zwanzig nichts. Zwanzig benutzte die Treppe. Es war ihre freie Entscheidung, auch wenn es keine andere Möglichkeit gab.
    Zwanzig, die Hundedame, bezahlte keine Miete.
    Auch sie hatte keinerlei Veranlassung, einen neuen Bewohner willkommen zu heißen. Da die Bewohner des Observatoriums ausnahmslos der menschlichen Art zuzurechnen waren, verabscheute sie alle gleichermaßen. Sie liebte einzig und allein. Hunde.
    Für uns war Zwanzig die perfekte Mitbewohnerin. Sie bezahlte keine Miete, aber das war nicht unser Problem. Sie lebte völlig zurückgezogen und verbrachte ihre Tage (und die meisten ihrer Nächte) im Park. An diesem Tag im Park beobachtete ich, wie sie sich mit hängendem Bauch auf den ausgetretenen Rasen von Tearsham Park Gardens legte. Sie gähnte, legte ihr Kinn auf die Erde, wackelte einmal mit dem Hintern und schloß die Augen.
Ein Kinderspielzeug
    An diesem Tag im Park sah ich ein Kind. Ich sah eine Mutter, die das Kind trug, hoch über dem Boden, viel höher als ein Kind groß war, irgendwo ganz weit oben, auf Mammihöhe eben. Ich sah die Hand des Kindes, die ein Kinderspielzeug umklammerte. Mit dem Würgegriff der Liebe. Der Gegenstand, bislang unbedeutend, aber dann, urplötzlich, höchst bemerkenswert, fiel zu Boden. Das Kind schrie. Die Mutter ging weiter, sagte dem Kind, es solle den Mund halten, trennte das Kind für immer von seinem Kinderspielzeug. Ich sah diesen Gegenstand, einst überschüttet mit Aufmerksamkeit, jetzt einsam und verlassen, nur ein weiteres Opfer der Liebe.
    Also stand ich auf, näherte mich, blieb stehen, bückte mich, überprüfte den Gegenstand auf unzumutbaren Schmutz, auf Kindersabber und Rotz, auf weiße Baumwolle verschmutzende Substanzen, auf Feinde von Handschuhen. Fand jedoch nichts. Fand den Gegenstand des Sammelns äußerst würdig. Fand den Gegenstand allein, kinderlos, einen Sammler benötigend. Und so, allzeit Freund der Freundlichkeit und flink wie eine Elster, stibitzte ich ihn. Ein Kinderspielzeug, gerettet vom Boden des Parks, fand ein neues Zuhause in meiner Tasche. Es war ein kleines Concorde-Flugzeug aus Metall, mit Zahnspuren in der Nähe des Cockpits, abblätternder Farbe, einem fehlenden Plastikrad. Wohin mochte es wohl fliegen? Wo war sein Hangar? Es gab eine kleine Stelle, die groß genug war, um darauf zu landen (und niemals wieder zu starten). Eine Parzelle. Mit der Aufschrift Position Nummer 986.
    Eines muß ich klarstellen, ich zog nicht einfach los und nahm jeden vergessenen Gegenstand mit. Gewisse Erfordernisse müssen erfüllt sein. Die Zahnspuren am Cockpit, das fehlende Rad hatten dem Gegenstand eine Geschichte verliehen. Bewiesen, daß er geliebt wurde. Kennzeichneten ihn als relevant. Also eilte ich durch den Park, mogelte mich durch den Verkehr und kehrte in das Gebäude zurück mit der Aufschrift: DAS OBSERVATORIUM Großzügig ausgestattete, geräumige Wohnungen.
    Als ich das Observatorium mit seinen minderwertig ausgestatteten, engen Wohnungen betrat, begegnete ich einer Person.
Ein Schließmuskel namens Pförtner
    Der Mann mit vielen Schlüsseln. Der Stoiker. Der Pförtner, immer damit beschäftigt sauberzumachen, stets damit beschäftigt, sämtlichen Staub zu beseitigen, allzeit damit beschäftigt, sich das Herz zu brechen. Er sah mich, machte jedoch keine Anstalten, mich zu grüßen. Nicht einmal ein Zischen. Als ich an ihm vorbeikam, wandte er mir den Rücken zu, ging dort hinaus, wo ich hereingekommen war, betrat das Gebäude erneut und beseitigte, mit seiner Kehrschaufel und seinem Besen vorwärtskriechend, meine Fußspuren. Die Schlüssel klimperten. Die Borsten seiner Bürste schrubbten den grauen, verschossenen Teppichboden, der einmal blau gewesen war. Der Schmutz und der Dreck der

Weitere Kostenlose Bücher