Das verlorene Observatorium
die entweder verbraucht waren oder nicht mehr beachtet wurden, Dinge, die andere Leute gemeinhin als Müll bezeichnet hätten. Dann stellte ich eines Tages einen neuen Grundsatz auf. Ich kaufte ein Notizbuch mit festem Einband, im folgenden Ausstellungskatalog genannt, und schrieb auf die erste Seite: VON NUN AN MÜSSEN SÄMTLICHE AUSSTELLUNGSSTÜCKE DIE FOLGENDEN BEDINGUNGEN ERFÜLLEN: SIE DÜRFEN EINZIG UND ALLEIN AUS DEM GRUND AUSGESTELLT WERDEN, DASS SIE GELIEBT WURDEN; DASS SIE IHREM FRÜHEREN BESITZER WERTVOLLER WAREN ALS ALLE ANDEREN BESITZTÜMER, DASS SIE ORIGINALE SIND, DASS SIE UNERSETZLICH SIND.
Mit der Zeit wurde die Sammlung zu umfangreich, um in meinem Zimmer aufbewahrt zu werden, und wurde daher Stück für Stück in den Keller gebracht, was ein dreimonatiges Umzugsprogramm darstellte. Anfangs wurden sie noch im Weinkeller versteckt, den zu betreten, wie viele Teile des Anwesens, Kindern streng verboten war; diese elterliche Warnung sorgte dafür, daß diese verbotenen Ecken und Winkel schnell zu meinen Lieblingsverstecken wurden.
Die Zeit verging.
Dann war Francis Orme, nicht eines Tages von vielen, aber auch nicht völlig unerwartet, kein Kind mehr. Dann wurde Francis Orme mit seinen weißen Handschuhen dem Kindesalter für entwachsen erklärt.
Die Zeit verging.
Dann wurde bekanntgegeben, daß der Park seinen Namen zu »Das Observatorium« änderte, und die Bauarbeiten begannen. Aus dem Weinkeller sollte eine Souterrainwohnung werden. Ein aus drei Zimmern bestehender Käfig, verborgen unter Staub und Schmutz.
Der fette und dünne Kavalier
Man hatte mir Gespenstergeschichten über den korpulenten Gentleman erzählt (ebenfalls ein Orme, ebenfalls Francis genannt, jeder erstgeborene männliche Orme wurde Francis genannt, gleichwohl dieser Francis Orme Sir Francis Orme genannt wurde), der zu dick war, um durch den Gang im Keller, der aufgrund eines Konstruktionsfehlers in seinem Verlauf immer enger wurde, in die rettende Kirche fliehen zu können. Man hatte mir erzählt, daß der Kavalier in der Dunkelheit dort unten hängengeblieben war, sich so vollkommen verkeilt hatte, daß er weder vor noch zurück konnte. Und in der fürchterlichen Dunkelheit, die Rippen gequetscht, unfähig, sich umzudrehen, am Kopf blutend und die Finger gebrochen, starb er. Jahrzehnte später wurde sein Skelett gefunden, auf dem Boden liegend, während seine einst ordentliche Uniform um seine Gebeine herum verrottete. Erst nach seinem Tod war der Kavalier dünn genug geworden, um befreit zu werden. Diese Legende war mir als Kind mit genau der richtigen Dosis Dramatik und Spannung erzählt worden, daß ich sie mit allen Details schluckte und mir schwor, niemals den Gang zur Kirche hinunterzugehen, wo ich ganz sicher von Wanden umgeben in eine tödliche Falle laufen würde, aus der ich mich auch durch noch so viel Gezappel nicht mehr befreien könnte. Niemand, sagte man mir, würde mich suchen kommen, sollte ich je dort unten feststecken, denn dort lebte der Kavalier und kein Mensch möchte dem fetten und dünnen Kavalier begegnen.
Also verlagerte ich, bewaffnet mit einer brennenden Kerze und, für den Fall, daß ich mit meinem ängstlichen Zittern die Flamme löschen sollte, einer Schachtel Streichhölzer die Ausstellung noch einmal an diesen sichersten aller Orte, wo mich meine Eltern niemals suchen würden, selbst wenn ich mit achtzig Dezibel brüllte. Niemand darf dich finden. Nie. Nie, nie, niemals. Es war solch ein perfektes Versteck, nicht einmal der Pförtner kam in diesen Teil des Kellers. Viel zuviel Dreck. Natürlich mußte ich dort unten meine Handschuhe schützen. Ein kleines Zugeständnis. Wann immer ich in den Keller ging, trug ich über meinen weißen Baumwollhandschuhen die braunen Lederhandschuhe meines Vaters. Und neunzehn Jahre lang bewahrte ich das Geheimnis der Ausstellung. Bis die neue Bewohnerin kam.
Das Objekt
Ein Exponat befand sich in ständiger Bewegung. Es war mein wertvollster Besitz. Die Inspiration, die mich antrieb, die Ausstellung weiter zu vergrößern. Es war der empfindlichste, kunstvollste und raffinierteste Gegenstand, den ich je gesehen hatte, das ultimative Exponat, welches immer ans Ende der Ausstellung verlegt wurde. Es mußte immer wie der jüngste Zugang erscheinen, durfte niemals von einem anderen Ausstellungsstück in meiner Liebe verdrängt werden. Es war der absolute Höhepunkt der Ausstellung und wurde einfach, voller Liebe und großem Respekt, Das Objekt genannt. Und neben
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