Das verlorene Observatorium
Teppichboden aufhörte, wo es für die Bewohner nichts zu sehen gab und wo niemand etwas zu suchen hatte außer dem Pförtner, lag der Staub in dicken Schichten. Er hatte jeder Ecke die Kanten genommen und Phantomdecken und Phantomwände entstehen lassen, die auf Fundamenten aus Spinnengewebe gründeten. Der Keller hatte die Länge und Breite der darüber liegenden Etagen, es gab eine aus Ziegeln gemauerte Gewölbedecke, die von einem gerippten Muster überzogen war und an jedem Segment einfache Säulen besaß wie die Wurzeln eines gewaltigen Baums. Diese Vielzahl von Säulen, welche das Haus trugen, waren geradezu ideal, um sich dahinter zu verstecken. Ideal, erinnerte ich mich aus meiner Kindheit, um in Knöchelhöhe Angelschnüre darumzubinden und dann zuzusehen, wie Hausangestellte darüber stolperten. Weiterhin gab es einen Tunnel, der im Keller begann und bis zur nächsten Kirche führte, die etwa eine halbe Meile entfernt lag. Dieser Tunnel war alles, was von dem abgebrannten ursprünglichen Herrenhaus aus dem sechzehnten Jahrhundert noch übrig war. Dorthin ging ich. Danach suchte ich. Hinter der Wohnung des Pförtners, hinter den Heizungsräumen, hinter den Gipskartonplatten und den Rollen blauweißgestreifter Tapete (Reste des Umbaus von Tearsham Park zum Observatorium) war eine Tür. Ich sehe sie jetzt vor mir, und während ich sie sehe, werde ich auf diffuse Art traurig. Eine Tür mit der Aufschrift GEFAHR - ZUTRITT VERBOTEN. Meine Tür. Verschlossen von einem schweren Vorhängeschloß, zu dem ich allein den Schlüssel besitze.
Verteilt über den langen Gang, der zur Kirche führte und vor dem Einsturz bewahrt wurde durch zahlreiche Holzbalken, die die Decke und die Wände abstützten, mit gerade noch genug Platz, um einen schmalen Durchgang zu lassen, waren die 985 Exponate meiner Ausstellung. Meine persönliche Geschichte ließ sich anhand dieser Ausstellung nachvollziehen. Wie die Gesteinsschichten einer Felswand lagen hier verschlüsselt die Jahre und Abschnitte meines Lebens. Die Ausstellung zeigte ebenfalls das Leben der Stadt, die Veränderungen des Geschmacks, des Reichtums, ihrer Menschen.
Jedes Ausstellungsstück wurde in einem Plastikbeutel aufbewahrt, der mit Klebeband versiegelt war, um mögliche Beschädigungen durch Kondenswasser zu vermeiden. Am Fuß eines jeden Ausstellungsstücks befand sich ein kleines, mit schwarzem Kugelschreiber beschriftetes Pappschild: Die Nummer des Ausstellungsstücks.
Ich, der Besitzer dieser Sammlung, ihr Archivar, Aufseher und Publikum, schlenderte den langen Gang hinunter und zählte: Eins, zwei, drei. Da waren sie alle, hübsch in Polyäthylen verpackt, all meine Schätzchen, die Arbeit vieler Jahre. Alles meins.
Ich begann mit der Sammlung, meinem ganzen Stolz, als ich im Alter von vierzehn Jahren einen Kassenzettel fand, der vom Wind auf die Zufahrt des Observatoriums gehaucht worden war, zu jener Zeit, als das Haus noch Tearsham Park hieß. Ich war nach draußen, von meiner Mutter an die frische Luft geschickt worden, damit ich ein bißchen körperliche Bewegung bekam. Meine weißen, geschnürten Schuhe, entworfen für Sportler (eine Gemeinschaft, der ich nie angehört habe), erfreuten sich daran, einen Kiesel rauf und runter, vor und zurück zu kicken. Ich verfehlte mein Ziel, schürte das Erdreich auf und brachte dabei zufällig den Kassenzettel an die Oberfläche. Position Nummer 1, direkt neben dem Eingang:
Feinkost Lebensmittel
9 0,79 3 W 1 0,35
2,21 St 2,21 tl
2,50 ca 0,29 cd Vielen Dank für Ihren Einkauf
Dieses scheinbar langweilige Stück Treibgut regte meine Neugier an. Ich rettete den Papierschnipsel. Wer war in dem Geschäft gewesen? Was hatte die Person gekauft? Wo wohnte die Person? Mann oder Frau? Verheiratet oder alleinstehend? Häßlich oder hübsch? Jung oder im Sterben liegend? Werde ich dich je kennenlernen? All diese Fragen waren nicht zu beantworten, also dachte ich mir einfach Leute aus, die zu diesem Kassenzettel paßten. Der Beleg wurde in Frischhaltefolie verpackt und unter meinem Bett versteckt und viele Wochen und Monate jeden Tag heraus geholt, bis er völlig zerknittert war und äußerst anfällig für Risse wurde.
Andere Gegenstände lösten die Liebe ab, die ich für diesen ersten empfand. Neue Geschichten wurden erschaffen. Zunächst sammelte ich unscheinbare Dinge: leere Schachteln,
Plastiktüten, leere Flaschen und Dosen, gebrauchte
Briefumschläge, Bleistiftstummel, kurz, Dinge, die weggeworfen worden waren,
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