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Das verlorene Observatorium

Das verlorene Observatorium

Titel: Das verlorene Observatorium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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lächelte den Waagenmann an, es war ein gewaltiges Lächeln, ein viel größeres Lächeln als jedes andere Lächeln, das ich vorher oder seitdem zuwege gebracht habe. Ein Lächeln, das nur den einen Zweck hatte. Den Waagenmann mit meiner Freundlichkeit zu beeindrucken. Er schaute jedoch nicht auf, sondern lächelte in sein Notizbuch vertieft still vor sich hin.
Merkwürdige Dinge geschehen im Park
    Es gelang mir nicht auf Anhieb, die neue Bewohnerin im Park zu finden, gleichwohl sah ich eine Mutter, die ihren plärrenden Sohn tröstete, während die zwei vergeblich und verzweifelt eine verlorene Spielzeug-Concorde suchten. Als ich die neue Bewohnerin dann sah, bemerkte ich zu meiner Verärgerung, daß sie in der Nähe des kaputten Springbrunnens war und sich ein Kreidebild des Mädchens anschaute, das ich nun seit zwei Jahren kannte. An diesem Tag wurde ich noch einmal verraten. Die neue Bewohnerin sprach das Mädchen an. Und das Mädchen antwortete. Was dann folgte, lässt sich nur mit diesem scheußlichen Wort plaudern umschreiben. Sie plauderten, als seien sie alte Freunde, die sich aus den Augen verloren hatten. Die Worte sprudelten nur so aus ihnen heraus. Ja, für mich, der ich in sicherer Entfernung auf einer Parkbank saß, sah es sogar so aus, als hätten sie Schwierigkeiten, die Worte schnell genug herauszubekommen. Es verblüffte mich geradezu, wie frei und offen sie sich unterhielten. Die Worte stiegen durch Röhren in ihnen auf und strömten aus ihren Mündern. Ich hatte schon gerüchteweise von solchen Menschen gehört. Diese Menschen, die anscheinend völlig mühelos mit jedem einzelnen Lebewesen kommunizieren konnten. Diese Menschen, die allein durch ihre Ausstrahlung bewirkten, daß sich ihnen auch der verschlossenste Mensch öffnete, ohne dieser Person dabei Schaden zuzufügen. Wahrscheinlich genoß die Person diese Erfahrung sogar.
    Ich war an diesem Tag vom Novum dieser hemmungslosen Kommunikation so fasziniert, daß, wäre ich nicht Francis Orme gewesen, ich dieses Schauspiel vermutlich richtiggehend genossen hätte. Es hätte mir ein Lächeln aufs Gesicht gezaubert. Ich hätte mich leicht und lebendig gefühlt. Es hätte, aber das hat es nicht. Wenn man diese Freude am Sprechen nahm und ins Observatorium hineinholte, sah ich gefährliche Zeiten auf uns zukommen. Ich sah sich öffnende Türen, ich sah zutage geförderte Geheimnisse. Es ist allgemein bekannt, dass solcherart Unterhaltung, wie ich sie nun bezeugte, entspannend war und Entspannung ist eine Gefahr. Sind wir entspannt, vernachlässigen wir unsere Deckung. Ganz besonders im Gespräch. Eine entspannte Unterhaltung führt zu Offenheit. Und in der Offenheit geben wir häufig Dinge preis, die niemals preisgegeben werden sollten.
    Schließlich war ihr Gespräch zu Ende. Die neue Bewohnerin ging in einen anderen Teil des Parks. Zu meiner Freude war allgemein bekannt, daß dieser andere Teil des Parks, jene Ecke ramponierten Rasens, für die sie sich entschied, von einem gewissen Alptraum von Mensch beansprucht wurde. Von jemandem, der Menschlichkeit verabscheute. Von einem Misanthrop auf allen vieren. Zwanzig. Hundedame.
Ein Wort zu Zwanzig, Hundedame
    Zwanzig, so glaubten wir anderen Bewohner, konnte man nur bemitleiden. Wir waren zu der Ansicht gelangt, daß sie das Produkt unbeschreiblicher familiärer Unannehmlichkeiten war. Wahrscheinlich, so dachten wir, kam sie vom Land. Denn in der Abgeschiedenheit und Stille auf dem Land können so manche unvorstellbare Verbrechen passieren. Wir stellten uns vor, daß man sie als Kind angekettet hatte. Wahrscheinlich, so dachten wir, in einer Hundehütte. Wahrscheinlich, so dachten wir, in Gesellschaft eines Hundes. Zu essen bekam sie nur Reste, entschieden wir, die sie sich mit dem Hund teilte. Niemand hatte ihr beigebracht zu sprechen. Sie war, was man ein Wolfskind nannte. Irgendwann mussten dann ihre Eltern, ihre Walter, gestorben sein, oder vielleicht war Zwanzig ihnen auch einfach entkommen. In diesem Punkt waren wir nicht einer Meinung, darüber stritten wir. Allerdings waren wir alle überzeugt, daß sie sich aus ihrer schrecklichen Zwangslage irgendwie befreit hatte und gemeinsam mit ihrem Begleiter in die Stadt gekommen war. Der Hund starb, wie wir alle nur zu gut wußten, in einer der Wohnungen im Erdgeschoß des Observatoriums. Danach hatte sie beschlossen, bei uns zu bleiben, an dem Ort, wo sich auch das Grab des Hundes befand. Wir alle hatten, wenn auch nur selten, in unseren Zeitungen

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