Das verlorene Observatorium
wollte ich nicht. Ich fand die Zigarettenstummel unattraktiv.
Positionen 988 und 989
Inzwischen waren wir weit fortgeschritten in der Zeit der Erinnerungen und hatten sogar schon mit der Zeit der Vier Gegenstände begonnen. Wie bereits angedeutet, machte ich mir große Sorgen um meine Mitbewohner im Observatorium, gleichwohl sie im Gegenzug überhaupt nicht an mich zu denken schienen. Da ich versuchen wollte, die Zeit der Erinnerungen zu beenden, machte ich mich in dieser Nacht an die Arbeit. Ich hatte Sehnsucht nach der Zeit vor Anna Taps Ankunft, fühlte mich ausgeschlossen und verwirrt durch das Zusammentragen der Zigarettenstummelsammlung.
Still und reglos waren die Bewohner des Observatoriums, bewegt nur durch ihren tiefen Schlaf um drei Uhr morgens. Aber jemand war nicht in seiner Wohnung, verließ ganz allein sein Zimmer. Dieser Jemand namens Francis Orme schlich auf Zehenspitzen in die Schwärze der Nacht hinaus und lehnte die Leiter gegen das Fenster von Wohnung 18. Ich kletterte zu Wohnung 18 hinauf und betrat das nach Zigaretten riechende Gelände. Ich schlich auf Zehenspitzen ins Schlafzimmer und fand eine Frau von Ende Zwanzig bis Mitte Dreißig, die fest schlief und von Waisenhäusern, Museen und winzigen Textilfasern träumte. Neben ihrem Bett lag ein Brillenetui und in dem Brillenetui eine Brille. Rundes Gestell. Aus Metall. Mit dicken Gläsern (Position 988).
Dann wagte ich mich durch die ständig offene Tür von Wohnung 20 und fand Zwanzig schnarchend und leise im Schlaf bellend vor. Mit einer Pfote umklammerte sie das Hundehalsband und das Namensschildchen mit der Aufschrift MAX. Indem ich um ihren Kopf und ihre Hände herum schnüffelte wie ein Hund, keine sonderlich angenehme Aufgabe, bemerkte ich zu meiner Zufriedenheit, daß Zwanzig das Hundehalsband losließ, um ihre Hände auf meine Schultern zu legen und mir das Gesicht zu lecken, wobei sie glücklich winselte. Und als Zwanzig genug geleckt hatte, nahm ich das Halsband (Position 989).
Durch die Augen von Anna Tap
Nachdem ich Zwanzigs einstiges Hundehalsband ordentlich in eine transparente Plastiktüte gelegt und das Exponat katalogisiert hatte, richtete ich meine Aufmerksamkeit auf die Brille. Mit einem der Zigarettenstummel im Mund und der Brille auf der Nase versuchte ich herauszufinden, wie es sich anfühlte, Anna Tap zu sein. Ich sah alles nur noch verschwommen. Verschwommene Farben, verschwommener Übergang von Licht in Dunkelheit. So ähnlich, dachte ich, mußte es sein, wenn sie ihre Brille nicht trug. Auf diese Weise ahmte ich Anna Tap nach, saugte an ihren bereits gerauchten Zigaretten und sah durch ihre Brille, etwa eine halbe Stunde lang, nur um sicherzugehen, welche Gefühle ich ihr gegenüber empfand. Ich gelangte zu dem Schluß, daß sich William geirrt haben mußte. Ich sah weitere zehn Minuten durch die Brille und rauchte, nur um sicherzugehen. Nichts.
Dann katalogisierte ich die Brille, legte sie in einen Plastikbeutel, ging nach oben ins Bett und schlief glücklich ein.
Am nächsten Morgen ging ich etwas früher als üblich zur Arbeit und hatte das Haus bereits verlassen, bevor einer der anderen aus dem Bett gestiegen war. Ich dachte darüber nach, welchen Gefallen ich allen erwiesen hatte, allen außer Anna Tap natürlich. Zwanzig war glücklich gewesen als Hundedame von Tearsham Park Gardens, jetzt hieß es, sie sei traurig, hatte keine Ahnung mehr, wer sie war. Claire Higg hatte glücklich in ihren Fernseher gestarrt, bis er durch Anna Taps Anwesenheit ausgeschaltet und sie an Alec Magnitt erinnert wurde. Auch Peter Bugg war mit seinem Leben leidlich zufrieden gewesen, bis er an seinen Vater, an das Lineal seines Vaters und an längst vergangene Schuljahre erinnert worden war. Indem ich das Hundehalsband wegnahm, hoffte ich, alle Anhaltspunkte zu beseitigen, die Zwanzigs toten Hund betrafen, hatten diese doch all ihre anderen Erinnerungen geweckt. Auf diese Weise wollte ich Zwanzig in ihre frühere Hundezeit zurückbringen. Indem ich Claire wieder zu ihrem Fernseher und Bugg in sein Leben voller Schweiß und Tränen zurückführte, hoffte ich, die Zeit der Erinnerungen in Wohnung 16 zu beenden. Indem ich Anna Taps Brille stahl, hoffte ich, ihr zu zeigen, daß sie im Observatorium immer noch nicht willkommen war. Wenn Zwanzig in den Park zurückkehrte, wenn Claire sich wieder ihrem Fernseher widmete, wenn Bugg aufhörte, sich Gedanken zu machen, dann würde Anna Tap begreifen, und zwar in aller Deutlichkeit, daß
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