Das verlorene Observatorium
sie hier nicht gebraucht wurde. Sollte sie doch blind wie ein Maulwurf in ihrem Schlafzimmer sitzen und darüber nachdenken. Dann konnte sie woandershin gehen.
Dies waren meine glücklichen Gedanken, als ich, einige Zeit vor dem Eintreffen des Publikums, auf meinem Sockel im Herzen der Stadt stand. Auf eine Münze wartete, die fallengelassen wurde.
Handschuh-Armageddon
Auf dem Nachhauseweg von der Arbeit begegnete ich weder Anna Tap, die gerade aus der Kirche kam, noch fand ich sie in der Kirche. Allerdings war sie dort gewesen, ich nahm es zumindest an. Zigarettenstummel, Lucky Strikes mit Zahnabdrücken, lagen hier und da auf dem Rückweg zum Observatorium. Ich sammelte sie ein, hörte aber schon bald damit auf: Aufgespießt auf einer der Spitzen des Zaunes von Tearsham Park Gardens befand sich ein einzelner weißer Handschuh der von mir bevorzugten Sorte. Mein Handschuh. Ich nahm ihn herunter. Ja, es war meiner! Ein Stückchen weiter fand ich noch einen Handschuh, diesmal auf dem schmutzigen Bürgersteig. Er war nicht das Gegenstück zum ersten, sondern wieder ein linker. Noch ein Stück weiter war auf der anderen Straßenseite ein Handschuhpaar auf das Schild genagelt worden, das auf das Observatorium hinwies. Großzügig ausgestattete, geräumige Wohnungen:
DAS OBSERVATORIUM
Großzügig (Handschuh) ausgestattete, geräumige (Handschuh) Wohnungen
Meine Handschuhe, meine! In den Handflächen durchbohrt, wie
bei Christus! Meine Handschuhe. Ich zog sie herunter. Meine Handschuhe waren zerrissen. Meine Handschuhe waren schmutzig. Im Erdgeschoss lag ein völlig verdreckter Handschuh, hatte der Pförtner ihn als Staubtuch missbraucht? Auf der Treppe des Observatoriums, von der Kammer des Pförtners bis in den ersten Stock: überall lagen Hände (auf manche, wie ich zu meinem Entsetzen bemerkte, war offenbar auch getreten worden). Die Handschuhe auf der Treppe erinnerten an unglückliche, anämische Insekten, die versuchen, nach Hause zu kriechen. Mein Zuhause! Dann sah ich es: die Tür von Wohnung 6! Ein neues Schloß war montiert worden! Unter der Tür konnte man die leeren Finger eines weißen Handschuhs sehen, für mich aber war Wohnung 6 gesperrt. Ich brüllte wieder und wieder. Ich setzte mich auf die Treppe, die Handschuhe in Händen, andere Handschuhe auf dem Schoß, und zitterte. Mit Hilfe der weißen Baumwolle gelang es mir schließlich, mich zu beruhigen. Ich erkannte, daß es sich bei dem neuen Schloß um exakt dasselbe Schloß handelte, das ich für Anna Tap gekauft und zu dem ich den Reserveschlüssel in der Tasche hatte. Ich schloß auf. Ich wünschte, ich hätte es nicht getan, denn der Anblick, der sich meinen Augen an diesem grausamen Abend bot, war etwas, dem zartbesaitete Personen wie Francis niemals ausgesetzt werden sollten.
Weiße Handschuhe, ein Meer weißer Handschuhe, weiße Handschuhe auf jedem Quadratzentimeter Boden von Wohnung 6 des Observatoriums. Ich machte mich daran, die Handschuhe vorsichtig einzusammeln, hatte schreckliche Angst, womöglich auf einen zu treten. Ich legte die Handschuhe auf Oberflächen, höher als der Boden. Die armen Diener, die armen Häute. Über das Nachtlichtkaninchen in Mutters Schlafzimmer war ein Handschuh gestreift worden. Mutters Kopf lag auf einem mit weißen Handschuhen gefüllten Kissen, und auf Mutters Sessel lagen zwei mit weißen Handschuhen ausgestopfte Männerunterhosen. Im Badezimmer nahmen weiße Handschuhe gerade ein Bad, gebrauchte Handschuhe lagen in der Klosettschüssel. Handschuhe waren an die Hähne für heißes und kaltes Wasser gebunden worden, sowohl in der Badewanne als auch am Waschbecken. Sie waren voller Wasser; aufgedunsene Hände, die mehr an Kuheuter als an empfindliche Greifinstrumente erinnerten. In der Kochecke des größten Raumes von Wohnung 6 lagen kalte Handschuhe im Kühlschrank, es gab gefrorene Handschuhe im Tiefkühlfach, auf dem Herd kochten Handschuhe in heißem Wasser, im Backofen lagen verbrannte Handschuhe. In der Eßecke des größten Raumes von Wohnung 6 war der Tisch gedeckt worden. Auf einem Teller in der Mitte des Tisches stand ein ekelhafter Salat aus weißen Handschuhen mit ein paar Spritzern Olivenöl, unter dem Deckel einer Terrine fand sich Weiße-Handschuh-Suppe und auf dem Deckel eines Silbertabletts ein Paar weiße Handschuhe mit Zwiebeln gefüllt.
Im Wohnzimmerteil des größten Raums von Wohnung 6 saß Vater: Vater mit Handschuhen über den Ohren und fingerlosen Handschuhen an den Händen; die
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