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Das verlorene Observatorium

Das verlorene Observatorium

Titel: Das verlorene Observatorium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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gegenseitig vor, ihre Mutter niemals geliebt zu haben. Sie nennen sich gegenseitig egoistisch, materialistisch. Aber sie können nicht entscheiden, welche der Schwestern den Ring behalten soll. Schließlich einigen sie sich darauf, ihren Streit bis zum nächsten Morgen zu verschieben. Sie schließen die Tür zu Wohnung 12 ab. Ich schließe sie. Sie kehren in ihre Wohnungen 11 und 13 zurück. Auch diese Türen schließe ich. Dahinter schluchzen die Schwestern allein. Dann wird es Nacht. Schließe die Augen. Öffne deine Augen. Schon ist es Morgen. Ich öffne die Tür zu Wohnung 11. Ich öffne die Tür zu Wohnung 13. Frostig wünschen die beiden Schwestern sich einen guten Morgen. Ich öffne die Tür zu Wohnung 12. Die Schwestern betreten Wohnung 12. Der Memoire-Ring ist fort.
    Er ist über Nacht verschwunden. Christa sagt zu Eva, gib mir meinen Diamanten zurück. Eva sagt zu Christa, gib mir sofort meinen Ring wieder. Sie beschuldigen sich viele Stunden lang, sie durchsuchen gegenseitig ihre Taschen und ihre Zimmer. Sie finden den Memoire-Ring nicht. Die Polizei wird gerufen. Die Polizei findet den Memoire-Ring ebenfalls nicht. Drei Tage später sind die Wohnungen, 12 und 13 leer. Die Gegenstände aus Wohnung 12 sind unter Aufsicht von Rechtsanwälten auf die beiden Schwestern aufgeteilt worden. Die Schwestern verlassen das Observatorium mitsamt ihrer Habe und jeweils einer Hälfte der Besitztümer ihrer verstorbenen Mutter. Sie sprechen nie wieder auch nur ein Wort miteinander.
Tearsham Park
    Vater stand in Wohnung 1 und sagte: Dies ist der Salon. Früher war er einmal, sofern ich mich nicht irre, ungefähr dreimal so groß wie jetzt. Er ist schmutzig! Woher kommt nur all der Müll, all die leeren Dosen und Zeitungen? Und jemand hat die Fenster eingeschlagen. Eigentlich müßte sich genau über mir auf der mit Rosen und Blättern verzierten Stuckdecke ein Datum befinden: 1687. Hier, sagte Vater und trat gegen eine Wand, müßte ein Kamin sein, ein großer Marmorkamin, flankiert von Säulen, die den Kaminsims tragen, und sein Zwilling müßte sich ein paar Meter weiter befinden, auf der anderen Seite der Wand. Das da befindet sich im Weg, diese Wand! Da müßten auch Gobelins sein, aber es ist alles einfach viel, viel zu klein! Stell in deiner Phantasie ein Sofa hierher. Auf diesem nicht vorhandenen Sofa sitze ich mit meiner Mutter. Mein Vater sitzt allein dort drüben. Er liest den letzten Band der Geschichte der Ormes. Er hatte diesen Band verfaßt. Er lacht. Ich spiele mit einer Lupe. Vater klappt das Buch zu. Es ist zu Ende.
    Francis, sagt mein Vater, du bist Erbe einer großen und alten
    Familie. Kümmere dich gut um alles, wenn ich fort bin. Liebe und ehre sie. Heirate, zeuge einen Sohn, mindestens einen. Vergeude niemals Geld. Vermehre die Ländereien der Ormes. Sollte dir dies nicht möglich sein, dann bewahre alles, so wie es ist. Wenn du auch nur einen Zoll davon verlierst, werden dich deine Ahnen verfluchen.
    Mein Vater führt mich durch das ganze Haus, zeigt mir den gesamten Besitz unserer Familie. Sieh dir alles an, sagt er, ist es nicht wunderschön? Verliere nichts davon, Francis, sagt er.
    Vater führt Anna und mich in die Eingangshalle und sagt: Hier in der Halle von Tearsham Park sind viele Gesichter. Nicht kahle und schmutzige Tapeten, und der Boden müßte aus schwarzem und weißem Marmor im Schachbrettmuster sein, kein abgewetzter Teppichboden. Hier gibt es viele in Öl gemalte Gesichter. Viele stolze Profile. Viele alte Ormes. Ein Kopf über dem anderen, fünf Köpfe hoch klettern sie huckepack in die Dunkelheit. Viele alte, tote Ormes. Die Toten, die häufig abgestaubt werden, eine Kapelle der Geschichte. All diese sorgfältig in der Abfolge ihrer Existenz angeordneten Gesichter raunen Erinnere dich an mich. Die ganze makellose Geschichte. Sie sehen mich an, und in ihren Blicken liegt keine Anerkennung.
    Komm jeden Tag hierher, sagt mein Vater, so wie ich es getan habe. Betrachte diese Gesichter. Wenn du sie ansehen kannst, dann erfüllst du deine Pflicht, dann werden diese Porträts deine Freunde sein. Wenn du sie aber nicht anschauen kannst, dann machst du etwas falsch. Bringe dein Versäumnis sofort in Ordnung, Francis. Wenn du Land kaufst und das wirst du, dann musst du herkommen und die Porträts ansehen. Du wirst feststellen, daß sie dich anlächeln. Verkaufe niemals, Francis, vermehre, expandiere. Der dort ganz oben ist der älteste Francis Orme, Sir Francis Orme, der auf diesem Grund

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