Das verlorene Observatorium
Lippen. Ihre Zunge öffnet meinen Mund und schlängelt sich hinein. Nach einer Weile nimmt sie ihre Zunge wieder heraus und tritt einen Schritt zurück. Mir wird bewußt, daß ich sehr lange die Luft angehalten habe, und nun ist mir schwindlig. Ich atme aus. Ich muß wohl ziemlich mitgenommen aussehen, denn jetzt geht das Mädchen und setzt sich auf einen der Sessel und fängt an zu weinen. Nach einer Weile gehe ich zu ihr und setze mich neben sie. Ich tätschele ihre Hand. Sie schaut zu mir auf. Sie lächelt. Diesem Lächeln kann ich mich nicht widersetzen. Das Mädchen hat ein wunderbares Lächeln und fragt: Darf ich bleiben? Ich antworte: Ja. Aber nicht, weil ich möchte, daß sie bleibt. Ich sage ja, weil es unmöglich ist, diesem Lächeln zu widersprechen. Ich höre, wie sich ein Schlüssel im Schloß dreht. Ich höre meine Mutter anklopfen. Als ich hingehe, um zu antworten, fragt mich meine Mutter, Wie geht es dir, mein Schatz? Ich sage spontan und ohne nachzudenken, daß ich verliebt bin. Doch die Worte, die gerade über meine Lippen gekommen sind, schockieren mich. Ich denke über sie nach und begreife, daß ich tatsächlich verliebt bin. Ich sage es wieder: Ich bin verliebt in. Dann sprach ich nicht weiter. Ich kenne ihren Namen nicht. Ich frage sie: Wie heißt du? Sie sagt, ihr Name sei Alice. Ich drehe mich zu meiner Mutter um. Ich sage: Ja, ich bin in Alice verliebt.
Das Observatorium
Meine Mutter befindet sich im dritten Stock irgendwo zwischen den Wohnungen 16 und 19. Mutter: Vor den Wohnungen 16 und 19 stehen Milchflaschen. Es ist exakt sieben Uhr dreißig morgens. Die Tür von Wohnung 16 geht auf. Dort steht Miss Claire Higg in ihrem Nachthemd, durchaus aufreizend. Jetzt geht auch die Tür von Wohnung 19 auf. Mr. Alec Magnitt tritt heraus, er trägt einen ordentlichen, wenn auch altmodischen grauen Anzug mit dazu passenden grauen Schuhen. In einer Hand hält er einen Taschenrechner. Er nimmt die Milchflasche und stellt sie, ohne die Wohnungstür zu schließen, in seinen Kühlschrank. Claire sieht einen kleinen Teil seiner Wohnung, genau den Teil, den sie immer sieht. Sie sieht das gerahmte Photo einer alten Frau, wahrscheinlich Alec Magnitts Mutter. Mr. Magnitt kehrt auf den Treppenabsatz zurück und schließt seine Tür ab. Claire Higg, die immer noch vor der Tür von Wohnung 16 postiert ist, lächelt ihn liebevoll an. Er antwortet mit einem nervösen Lächeln. Alec Magnitt geht auf Claire Higg zu und drückt ihr etwas in die Hand. Er zieht das Fahrstuhlgitter zurück und geht in die Kabine. Hinter sich zieht er das Gitter wieder zu. Claire Higg verschwindet in ihrer Wohnung und schließt hinter sich die Tür. Sie senkt den Blick auf ihre Hände. Dort findet sie ein Paßphoto von Alec Magnitt, auf dessen Rückseite Worte voller Liebe stehen. Alec Magnitt in seinem Fahrstuhl betätigt den Knopf mit der Aufschrift E für Erdgeschoß. Daraufhin ist im Treppenhaus ein unwahrscheinlicher Lärm zu hören, das Geräusch von etwas, das schnell und aus großer Höhe herunterfällt. Und dann gib es einen gewaltigen Knall. Staub steigt auf, quillt im ersten und zweiten Stock aus dem Fahrstuhl schacht. Miss Higg öffnet wieder ihre Wohnungstür. Sie lächelt nicht mehr. Sie rennt zum Fahrstuhl im dritten Stock und zieht das Metallgitter zurück. Sie schaut in den Fahrstuhlschacht hinab. Sie sieht das geborstene Metallseil unter sich baumeln. Claire Higg schreit.
Tearsham Park
Mein Vater stieg langsam die Treppe hinauf, meine Mutter, die ihn kommen hört, stürmte in den vierten Stock hinauf. Mein Vater blieb vor Wohnung 16 stehen. Er hörte Stimmen aus dem Wohnungsinneren. Vater: Diese aus unbekanntem Grund mit 16 bezeichnete Tür hat überhaupt nichts zu tun mit der Zahl sechzehn. Diese Tür ist die Tür zu meinem Schlafzimmer. (Vater schlägt gegen die Tür.) Ich will nicht aus meinem eigenen Schlafzimmer ausgesperrt werden. (Claire Higg im Inneren flucht. Vater tritt gegen die Tür. Wir bitten ihn inständig aufzuhören, wir bitten ihn, sich sein altes Schlafzimmer doch vorzustellen. Er beschwert sich noch ein bißchen, dann berührt er mit der Hand die Tür, schließt die Augen und lächelt.) Auf der anderen Seite dieser Tür liege ich unter der Decke auf meinem Himmelbett. Ich bin allein. Es ist Mitternacht. Am heutigen Tage habe ich Alice geheiratet, in die ich mich verliebt habe. Es war nur ein kleiner Gottesdienst in Tearsham Church. Alice schläft heute abend zum ersten Mal in Tearsham Park. Ihr
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