Das verlorene Observatorium
Observatorium, in dem wir anderen lebten, in der realen Zeit. Dies verstand sie auch, sie existierte in der Gegenwart, streifte aber gern durch die Vergangenheit, und wenn sie die Wände der verschiedenen leerstehenden Wohnungen berührte, erinnerte sie sich an Bilder, die einst dort gehangen hatten. Mutter erging sich in Erinnerungen, arbeitete sich zurück, erinnerte sich von der Gegenwart aus rückwärts, aber Vater lebte die Vergangenheit.
Vater konnte nicht sehen, daß er sich hoffnungslos in einer längst vergangenen Zeit verloren hatte. Er glaubte, er sei in Tearsham Park, und daß sich Tearsham Park auf unerklärliche Weise ihm entfremdet hatte. Er versuchte, diese Fremdheit zu überwinden, indem er verzweifelt bemüht war, sich exakt zu erinnern, wo genau die Räume waren, die sich ihm im Augenblick entzogen. Leider kamen ihm dabei immer wieder Gipskartonwände in den Weg und er schrie, Der Speiseraum der Dienstboten ist hier, auf der anderen Seite dieser Wand. Und uns blieb nichts übrig, als die Achseln zu zucken, ihm die Hand zu tätscheln und zu sagen: Nein, Vater, du irrst dich. Dennoch hatte er recht. Er hatte immer recht.
Gemeinsam wuchteten sich Mutter und Vater zurück ins Leben. Und während sie das taten, füllte sich das Gebäude, welches Tearsham Park genannt wurde, welches das Observatorium genannt wurde, allmählich mit den Menschen und Gegenständen ihrer jeweiligen Vergangenheit.
Die vollständige Geschichte des Observatoriums und von Tearsham Park Aus der Sicht meiner Mutter und meines Vaters (nacherzählt mit Hilfe von Francis Orme und Anna Tap):
TEIL EINS - Das Observatorium
Meine Mutter stand in einem leeren Schlafzimmer der verlassenen Wohnung 8. Sie wischte mit den Händen Spinnweben beiseite, blies die toten Fliegen in eine Ecke und setzte sich dann genau in die Mitte des Raumes auf den nackten, staubigen Fußboden. Wo ich jetzt sitze, sagte sie, stand das Bett des Junggesellen. Es war ein großes Doppelbett, es machte keine Geräusche. Hier auf diesem Bett lag der Junggeselle jede Nacht und schlief (sagte Mutter und breitete ihre Hände im Staub aus).
In manchen Nächten, wenn er hier la, schlief er nicht, in manchen Nächten und auch an manchen Tagen hatte er Gesellschaft. Ich bin hier, sagte meine Mutter, um mich an meinen letzten Besuch in dieser Wohnung zu erinnern. Ich stand hier (jetzt stand sie mit nur einem Bein in der Wohnung, der Rest befand sich auf dem abgelaufenen Teppichboden des Treppenabsatzes). Er ließ mich nicht herein. Durch den Spalt der Tür sah ich, daß er seine Taschen gepackt hatte und die Wohnung leergeräumt war. Er wollte am nächsten Morgen abreisen, ohne mir Lebewohl zu sagen.
Ich hätte ihm tausend Dinge sagen können. Aber er machte sich nichts mehr aus mir, und daran konnte ich nichts ändern, denn je mehr ich es versuchte, desto weiter stieß er mich fort. Wie ich da auf dem Treppenabsatz stand, nur der kleinste Teil von mir in seiner Wohnung, dachte ich: Was soll es, was macht überhaupt noch Sinn? Und ich schleuderte ihm einfach ein nicht sonderlich überzeugendes Bastard entgegen und ging. Ich ging in mein Zimmer in Wohnung 6, streifte mein Nachthemd über, zog die Vorhänge zu und legte mich ins Bett. So fing es an.
Francis kam zu mir, er sagte: Mutter, steh auf, es ist noch nicht Schlafenszeit. Hör zu, Francis, sagte ich, wenn ich die Augen schließe, kann ich überall sein. Ich kann mich in jede gewünschte Zeit denken. Wenn mir danach ist, kann immer Sommer sein. Ich kann jene besseren Tage, die anscheinend nie wiederkehren werden, noch einmal erleben. Wenn ich mich in Wohnung 10 zusammen mit dem Junggesellen sehen möchte, als ich ihm zum ersten Mal begegnet bin, als wir noch glücklich waren, kann ich einfach die Augen schließen und bin da. Aber vielleicht wäre es besser, wenn ich irgend etwas von ihm hätte, was mich an ihn erinnern wird. Francis, ich weiß, du bist ein Dieb. Du bist ein Dieb, seit du krabbeln konntest, es liegt in deiner Natur, ich habe mich nie darüber beklagt, ich habe dich nie verraten, nicht einmal, wenn deine Opfer verzweifelt und in Tränen aufgelöst waren, nicht einmal, wenn ich ganz genau wußte, daß du verantwortlich warst. Ich hätte es tun können, aber ich habe es nie getan. So, und jetzt, Francis, habe ich einen Auftrag für dich. Du wirst auch bezahlt. Stiehl mir einen Slip des Junggesellen.
Francis Orme, beiseite gesprochen zu Anna Tap
Mit der Zeit entwickelten Mutter und ich große Pläne. Ich
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