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Das verlorene Observatorium

Das verlorene Observatorium

Titel: Das verlorene Observatorium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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Der Karton befindet sich in einem verschlossenen Schrankkoffer in einer der Dachkammern. Sämtliche Photos, die wir jemals von ihm gemacht haben, wurden vernichtet. Alle bis auf eines. Eines habe ich behalten und vor meiner Frau in einem Band der Geschichte der Ormes versteckt. Ich benutze es als Lesezeichen. Ein kleiner Junge mit geschwollenem Gesicht und einem mundlosen Teddybär im Arm.
    Wir haben daran gedacht, unseren zweiten Sohn jetzt Francis zu nennen und nicht Thomas. Francis, Thomas (aber auch wieder nicht Thomas) weiß bislang noch nichts von seinem verstorbenen Bruder. Er ist ein begriffsstutziges Kind, das ohne die Bemühungen einer Frau aus dem Dorf bestimmt niemals zu sprechen gelernt hätte. Erst vor kurzem hat sein Privatlehrer Peter Bugg das Haus verlassen und lehnt es ab zurückzukehren. Seit der Hauslehrer fort ist, verbringt Francis den größten Teil seiner Tage auf der Bank neben dem Kriegerdenkmal im Herzen von Tearsham Village. Francis sitzt auf dieser Bank und starrt auf den Schulhof, wo Kinder seines Alters spielen. Um diese Zurschaustellung von Einsamkeit in der Öffentlichkeit zu beenden, habe ich ihm vor zwei Wochen zwei Mäuse gekauft. Haustiere, die ihm Freunde sein sollen. Mein Sohn taufte sie auf die Namen Peter und Emma. Ich photographierte ihn mit den Mäusen. Er wirkte sehr glücklich. Einige Tage ging dann alles gut, doch dann kehrte mein Sohn zu seiner Angewohnheit zurück, die Kinder auf dem Schulhof zu beobachten. Ich fragte ihn, ob er mit seinen Mäusen nicht mehr glücklich sei. Er sagte, doch, schon, das wäre er. Äußerst glücklich, versicherte er und kehrte zu der Bank neben dem Kriegerdenkmal zurück. In seiner Abwesenheit ging ich ins Kinderzimmer. Zunächst konnte ich die Mäuse nirgends finden. Die Tür ihres Käfigs stand offen, und der Käfig war leer. Ich nahm an, daß er die kleinen Geschöpfe versehentlich hatte entkommen lassen, doch dann fand ich sie versteckt unter Papieren im Kinderzimmerschreibtisch. Sie waren auf zwei ordentlich ausgesägte Holzklötze genagelt worden. Unter jedem der bedauernswerten Geschöpfe war mit Tinte in sauberer Handschrift auf ein Stück weißen Karton der Name des Verstorbenen geschrieben worden. Peter. Emma.
    Mutter: Heute war mein Sohn den ganzen Nachmittag und einen Teil des Abends verschwunden. Der Pförtner berichtete mir, daß er Stunden zuvor das Haus verlassen habe. Ich stehe direkt neben dem Eßtisch in unserer Wohnung, es ist Wohnung 6. Mein Sohn ist zurückgekehrt, er sitzt am Eßtisch. Er sagt uns, mir und dem Mann, der einst sein Vater war und jetzt mitleiderregend auf seinem Sessel in der Ecke vor sich hinvegetiert, er habe wunderbare Neuigkeiten. Mein Sohn erzählt uns, daß er Arbeit gefunden habe. Ich freue mich für ihn; ich hätte niemals gedacht, daß mein Kind arbeitsfähig wäre. Er strahlt mit einem ungewöhnlich großen Lächeln. Ich frage ihn, um was für eine Arbeit es sich denn handele. Er sagt, daß er in einem Museum in der Innenstadt arbeiten werde, einem Wachsfigurenmuseum voller berühmter Persönlichkeiten. Seine Aufgabe wird sein, stillzustehen und vorzugeben, aus Wachs zu sein. Mit Sicherheit ist mein Sohn eingestellt worden, damit man sich über ihn lustig machen kann: Irgendein grauenhafter kleiner Arbeitgeber meint wohl, Francis könne interessant sein, werde mit seinen weißen Handschuhen für Gesprächsstoff sorgen. Bestimmt wird man meinen Sohn als Kuriosität ausstellen, als Mißgeburt. Er sieht, daß ich enttäuscht bin. Er sieht zu dem Mann hinüber, der einst mein Ehemann war. Francis sagt, sein Vater lächle. Ich erwidere, dies sei völlig unerheblich, der Mann lächle häufiger, was überhaupt nichts zu bedeuten habe. Ich sage zu Francis, daß ich ihm nicht erlauben werde, diese erniedrigende Anstellung anzutreten. Zu meiner Überraschung sagt er, Ja, Mutter, wenn du es so wünschst. Für den Rest des Tages sprechen wir nicht mehr darüber. Am nächsten Morgen verläßt er zeitig das Haus und beginnt seine Arbeit in diesem Wachsfigurenmuseum. Als ich ihn am Abend sehe, schimpfe ich mit ihm. Doch er sagt, Versuch doch, mich daran zu hindern.
    Was ich nicht tue. Ich halte seine Arbeit vor den anderen Bewohnern geheim. Ich schäme mich dafür, und auch für meinen Sohn. Jetzt verbringe ich die Tage völlig allein in Wohnung 6. Ich muß unbedingt neue Freunde finden. Ich beschließe, viele Geschenke zu kaufen.
Tearsham Park
    Vater in Wohnung 4: Ein Band der Familiengeschichte ist

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