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Das verlorene Observatorium

Das verlorene Observatorium

Titel: Das verlorene Observatorium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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geradezu besessen von Geschenken. Jeder neue Bewohner erhielt ein Geschenk von Mutter, und jene Bewohner, die auf diese Geschenke reagierten und Mutter gegenüber eine gewisse Zuneigung zeigten, erhielten bisweilen zweimal in der Woche Besuche und Geschenke. Mit jedem Geschenk, erklärte Mutter, erlangte sie Zutritt in eine Wohnung. Einem fetten Mädchen, das Ballettunterricht nahm und mit ihrem mageren Vater und ihrer mageren Mutter in Wohnung 1 lebte, schenkte sie ein Buch über Ballerinen. Dem jungen Pärchen in Wohnung 2 schenkte sie eine Yucca-Palme. Dem ungeselligen Briefmarkensammler aus Wohnung 3 schenkte sie einen Beutel Pfeifentabak. Den drei häßlichen Brüdern, die in Wohnung 4 lebten, schenkte sie einen Spiegel. Der einsamen alten Frau aus Wohnung 5 gab sie ein Radio. Keine Geschenke machte sie in Wohnung 6, denn dort lebte sie selbst. Einen Winkelmesser schenkte sie dem alten Mann, dessen Rücken so schlimm gebeugt war, daß jeder ihn nur Mr. Rechtwinkel nannte. Er lebte in Wohnung 7. Keine Geschenke machte sie in Wohnung 8, da diese bis zur Ankunft des Junggesellen leer blieb. Ihm schenkte sie sich selbst. Dem jungen, frisch verheirateten Paar in Wohnung 9 schenkte sie eine Broschüre über das Verfassen eines Testaments. Mr. Wilson, ein Mann, der alles aus einem gewissen Land liebte und der sein fernes Zuhause verlassen hatte, um in Wohnung 10 zu leben, schenkte sie eine Eintrittskarte für den Zoo. Ein Service mit vier Teetassen schenkte sie der fetten Eva, die in Wohnung 11 lebte. Vier Sherrygläser schenkte sie der alten Elizabeth, die in Wohnung 12 starb. Ein Set mit vier Wassergläsern erhielt Christa aus Wohnung 13. (Genau vier Gläser, damit sie von der Mutter und ihren beiden Töchtern auf ein Gläschen eingeladen werden konnte.) Dem exkommunizierten Vikar, der in Wohnung 14 lebte, schenkte sie eine Agenda. Dem jungen alleinstehenden Mann aus Wohnung 15 gab sie eine Flasche Wodka; er spielte Klavier in einer Bar in der Innenstadt. Ich glaube, Mutter fand ihn attraktiv, bis er anfing, fast jede Woche eine andere Freundin mit nach Hause zu bringen. Miss Claire Higg, die in Wohnung 16 lebte, gab sie ein Buch mit dem Titel Das gute Sex-Handbuch. Und der jungen Frau in Wohnung 17, die bei einem Verkehrsunfall direkt vor dem Observatorium gerade erst ihre kleine Tochter verloren hatte, schenkte sie einen Bilderrahmen. Mutter klopfte an die Tür von Wohnung 18 und schenkte dem pensionierten Armeeoffizier und seiner Frau einen Spielzeugpanzer aus Plastik. Mutter klopfte an die Tür von Wohnung 19, aber der schüchterne Wohnungsinhaber namens Alec Magnitt kam nicht an seine Tür, also ließ sie einen Abakus davor liegen. Den Wohnungen 20 und 21 schenkte sie, in dieser Reihenfolge, ein Deodorant und ein Buch mit dem Titel Wohnungseinrichtung mit Niveau. Der Bewohner von Wohnung 22 war ein Porträtmaler und ihm schenkte sie ein Buch über Porträtmalerei. Lord Pearson aus Wohnung 23 bekam ein Buch über moderne Architektur und dem Besitzer von Wohnung 24, die am weitesten von der Treppe entfernt lag, schenkte sie eine Reportage darüber, wie viele Menschen in Häusern ohne ausreichende Feuertreppen verbrannten. Nicht alle Geschenke zeugten vom plumpen Humor meiner Mutter und nicht alle Bewohner verstanden diesen Humor. Sie kehrte zu Wohnung 6 zurück und jauchzte, nachdem sie das Innere einer weiteren Wohnung gesehen hatte, Ich lebe, ich lebe!
    Meistens ignorierten die Bewohner Mutter nach ihrem ersten Besuch, manche aber ließen sie später wieder herein. So schloß Mutter ihre Freundschaften. Sie war glücklich. Sie genoß es, Geschenke zu machen, es füllte ihre Tage aus.
Tearsham Park
    Vater befindet sich in der leerstehenden Wohnung 4. Vater: Hier, wo ich stehe, müßte eigentlich ein rotes Ledersofa sein. Dort drüben müßte einer von zwei roten Ledersesseln stehen. Der andere Sessel müßte genau hier vor dem Regal sein, in dem die Geschichte der Ormes aufbewahrt wird. Dieser Sessel und das weiß ich ganz sicher, ist mit böswilligen Absichten ins Ankleidezimmer meiner Frau geschafft worden.
    Stell dir vor, dieser Sessel steht wieder hier. Ich setze mich mit Hilfe deiner Gedanken hinein. Ich lese. Ich studiere die Geschichte der Ormes. Jahre sind verstrichen seit dem Tod meines ältesten Sohns. Fast ist es uns gelungen, ihn zu vergessen. Die wenigen Besitztümer, die er in seinem kurzen Leben ansammeln konnte, darunter auch seine Geburts- und Sterbeurkunde, sind in einen Karton gepackt worden.

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