Das verlorene Observatorium
Er versuchte zu sterben. Lag an abgelegenen Stellen des Parks, schlief, genau wie meine Frau und versuchte, nie mehr aufzuwachen. Aber irgendwie wurde er dann doch wieder von Francis gefunden und zwangsernährt, woraufhin er teilnahmslos sein Dasein fortsetzte. Bis er eines Tages in das letzte Stadium seines entsetzlichen Leidens eintrat. Hope der Hund kratzte sich zu Tode. Hopes Halsband baumelte locker um seinen Hals. Er kaute immerfort darauf herum.
Das Halsband aus steifem Leder hatte schartige Ränder, die sich in sein Fell schnitten. Die Schnitte, die schlimmsten hatte er direkt hinter den Ohren, wurden entdeckt und das Halsband abgenommen, damit die Wunden verheilen konnten. Aber nachdem er einmal damit angefangen hatte, konnte Hope mit Kratzen nicht mehr aufhören. Und mit jedem Kratzen der scharfen Krallen seiner Vorderpfoten wurden seine Verletzungen schlimmer, bis das arme Geschöpf schließlich auf beiden Seiten des Kopfes keine Haare mehr hatte, nur noch verletzliches rosa Fleisch. Seine Hinterbeine wiederholten, was die Vorderbeine machten, und fügten ihm quer über die Rippen viele neue Verletzungen zu. Schon bald war das ganze Lebewesen, der Hund namens Hope, einzig und allein mit seiner Selbstzerstörung beschäftigt, zu deren Erfüllung jede Hecke, jeder Backstein, jede Baumrinde zu Hilfe genommen wurde. Allem Anschein nach war dieses Unglück ansteckend, denn irgendwann während Hopes unermüdlicher Selbstverstümmelung begann auch mein Sohn Francis sich zu kratzen. Da er sich nur kratzte, wenn er allein war, bemerkte es zunächst niemand, bis er schließlich ein schmuddeliges weißes Hemd zum Waschen gab, das einen großen, braunen, getrockneten Blutfleck am Kragen hatte. Der Arzt wurde unterrichtet, und Francis' Hals wurde verbunden. Aber jeden Abend wurde der Schorf untersucht, und wir entdeckten, daß der Verband im Laufe des Tages abgenommen und an der Wunde gekratzt wurde. Francis fing an, sich auch an anderen Stellen zu kratzen, doch seine Badezeiten wurden von unserem Dienstmädchen überwacht und jede Verschlechterung seiner Haut sofort gemeldet. Francis wurde zum Kinderarzt gebracht, der Hund namens Hope zum Tierarzt. Der Kinderarzt verschrieb viel frische Luft und eine weiße Salbe, die dreimal täglich auf die entzündeten Stellen aufgetragen werden sollte. Der Tierarzt verschrieb Hope viel frische Luft und eine weiße Salbe, die dreimal täglich auf die Wunden aufgetragen werden sollte. Jeden Abend kam Francis im Schlafanzug nach unten, um mir gute Nacht zu sagen. Francis mußte sich ausziehen, damit der Heilungsprozeß kontrolliert werden konnte. Aber es stellte sich keine Besserung ein. Ganz besonders attackierte er jeden Leberfleck, jedes Muttermal, jeden natürlichen Makel seiner Haut. Es war, als versuche er, seine Identität auszulöschen. Der Hund zerkratzte sich weiterhin, und Francis ahmte ihn mit energischer Verehrung nach.
Der Tierarzt verschrieb also Antibiotika: Ein Fläschchen mit weißen Pillen, die in ein Stück Käse geschoben und hinterhältig dem ahnungslosen Hope zum Fressen gegeben werden sollten. Der Kinderarzt verschrieb Steroide für Francis. Die Steroide machten Francis schläfrig, und er verbrachte den Großteil des Tages im Bett. Doch wenn man die Bettdecken zurückzog, konnte man feststellen, daß die Laken mit Blut gesprenkelt waren. Hope erhielt einen Halskragen aus Plastik, der sich wie ein Trichter über seinen Schultern erhob. Der Kragen machte ihm zwar große Angst, hielt ihn jedoch nicht davon ab, sich weiterhin zu kratzen. Der Arzt gab Francis ein Paar weißer Baumwollhandschuhe. Eine Zeitlang, Francis, sagte er, wird alles, was du anfaßt, kontrolliert, alles, was du anfaßt, wird Spuren auf diesen Handschuhen hinterlassen, damit wir wissen, was du gemacht hast. Er wurde angewiesen, sie den ganzen Tag und die ganze Nacht zu tragen. Sie müßten unbedingt weiß bleiben. Er bekäme Prügel, wenn sich auch nur ein Hauch von Blut auf ihnen befand, egal, welche Ausrede er dafür hatte. Um ihn daran zu hindern, die Handschuhe einfach auszuziehen, an seinen wunden Stellen zu kratzen und sie dann wieder anzuziehen, band man zwei Stücke Kordel um seine Handgelenke und versah sie mit einer Vielzahl komplizierter Knoten, die er unmöglich öffnen konnte. Gemeinsam gingen der Hund mit seinem grotesken Kragen und Francis mit seinen makellosen Handschuhen mitleiderregend und völlig frustriert im Garten auf und ab, stets auf demselben, von mir festgelegten
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