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Das verlorene Regiment 01 - Der letzte Befehl

Das verlorene Regiment 01 - Der letzte Befehl

Titel: Das verlorene Regiment 01 - Der letzte Befehl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William R. Forstchen
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ihren Zügen und verlieh ihr ein weiches, strahlendes Leuchten. Es schnürte ihm den Hals zu, sie so zu sehen. Wochenlang hatte ihn seine Arbeit dermaßen beschäftigt, dass ihm ihre Gegenwart kaum zu Bewusstsein gelangt war. Heute Abend nahm er sie zum ersten Mal wieder richtig wahr, und die Erinnerung an ihr erstes Gespräch meldete sich zurück. Und jetzt stand sie allein an seiner Seite.
    »Möchten Sie gern eine Meinung dazu vorbringen, Andrew?«
    »Ich wünschte, ich könnte es«, antwortete Andrew unbeholfen. »Auf dem College hatten wir ein Teleskop. Dr. Vassar hat mich gelegentlich eingeladen, und wir haben den Himmel erkundet. Er glaubte, dass um die Sterne Welten kreisen, vielleicht Welten ganz ähnlich unserer eigenen. Aber was die Frage angeht, wo die von hier aus liegt …« Er verstummte.
    »Nun, ich denke gern, dass irgendwo dort oben unser Zuhause ist«, sagte Kathleen, und es war fast nur ein Flüstern. »Vielleicht dieser Stern da oben …« Und sie deutete unbestimmt auf einen der Arme des Rades.
    »Und vielleicht blickt Vassar gerade auf uns«, sagte Andrew leise. »Vielleicht betrachtet er uns und fragt sich, was hier passiert.«
    Kathleen blickte ihn an und lächelte.
    »Welche Reiche werden heute Nacht erträumt, dort hinter dem sternenbesetzten Himmel?«, flüsterte Andrew.
    »Sie haben ja etwas von einem Dichter an sich, Colonel. Sie erstaunen mich … ich hielt Sie eher für den kalten Militär.«
    Andrew sah sie lächelnd an und zuckte bescheiden die Achseln.
    »Nur eine Zeile, die ich in meiner Studentenzeit verfasst habe.«
    Kathleen lächelte sanft und berührte ihn am Arm.
    »Würden Sie mich zu meinem Haus begleiten?«
    »Aber natürlich.« Andrew ging voraus und half ihr die Stufen herunter.
    Als sie der Straße folgten, ertönte der Zapfenstreich, und sie blieben einen Augenblick lang stehen und hörten zu.
    »Was für ein trauriger Klang!«, flüsterte Kathleen, als der letzte Ton vom Wind fortgetragen wurde.
    »Warum empfinden Sie es so?«
    »Ich finde es nur seltsam, dass die Armee diese Klänge spielt, um die Männer in den Schlaf zu wiegen, und auch, wenn sie sie begräbt«, antwortete sie, als sie ihren Weg fortsetzten.
    »Vielleicht passt es ja. Ich muss dabei immer an Gettysburg denken. Ich weiß noch, wie ich den Zapfenstreich am Abend vor der Schlacht zum ersten Mal hörte, als wir uns schlafen legten. Und in den anschließenden Wochen, während ich im Lazarett lag, hörte ich die Klänge in einem fort, als man die Jungs, die starben, auf dem Hügel vor der Stadt beisetzte. Aber irgendwie finde ich es tröstlich. Die Musik kündet von der Ruhe nach dem Tag und dem Kampf, zunächst am Abend eines Tages und schließlich zum Abschluss eines Lebens.«
    »Welch melancholische Wendung unseres Gesprächs!«, fand Kathleen. »Oder liegt es einfach daran, dass unser Krieg Sie und mich einfach zu stark gezeichnet hat und uns weiterhin verfolgt?«
    »Vielleicht ist es ja gar nicht mehr unser Krieg.«
    »Womit Sie sagen möchten, dass Sie denken, wir würden nie mehr nach Hause zurückkehren.«
    Andrew betrachtete sie und zeigte sein typisches schmales, trauriges Lächeln.
    »Verstört Sie dieser Gedanke so sehr, Miss Kathleen O’Reilly?«
    »Nein, das denke ich nicht«, erwiderte sie gelassen. »Schließlich lebt mein Verlobter nicht mehr.«
    Andrew musterte sie.
    »Wir haben uns kurz vor dem Krieg verlobt. Er ging ’61 zur Armee, um eine dreimonatige Dienstzeit anzutreten«, erzählte sie leise. »Er versprach zurückzukehren; er sagte, der Krieg wäre vor Ende des Sommers vorbei, und wir würden dann heiraten.«
    »Und er ist nie wiedergekommen«, flüsterte Andrew.
    Kathleen nickte und wandte sich ab.
    Andrew streckte die Hand aus und legte sie ihr leicht auf die Schulter.
    »Oh, mir geht es gut«, sagte sie, blickte zu ihm zurück und rang sich ein Lächeln ab.
    »Und sind Sie deshalb Krankenschwester geworden -seinetwegen?«
    »Ich musste schließlich etwas tun, und es schien mir irgendwie passend. Komisch – ich habe mich oft gefragt, was ich tun werde, wenn die Kämpfe mal vorüber sind, denn diese Arbeit bot mir eine Möglichkeit, mich selbst zu vergessen. Jetzt brauche ich mich dieser Frage womöglich nie wieder zu stellen. Vielleicht hat unser Schicksal sie für mich beantwortet.«
    Andrew konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. Also war sie ihm ähnlicher, als er gedacht hatte. Der Krieg, dessen Gräuel ihn anwiderten, hatte ihn gleichzeitig mit einem Zauber umgarnt.

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