Das verlorene Regiment 01 - Der letzte Befehl
Ein großes Streben, von dem er Teil war, hatte ihn schließlich ergriffen und mitgerissen. So sehr er sich auch bemühte, er hatte sich nie vorstellen können, nach dem Krieg nach Bowdoin zurückzukehren, zu einem Leben, das nichts weiter war als das Leben eines Geschichtslehrers in einer kleinen College-Stadt. Er hatte die seltsame Erhabenheit verspürt, in einem gewaltigen Ringen unterzutauchen, in dem Wissen, an etwas teilzuhaben, was über ihn selbst hinausging.
Konnte sie das verstehen?, fragte er sich.
Sie erreichten den Dorfplatz, und er geleitete sie zur Tür ihrer Hütte.
»Ich habe mich darin verloren, Andrew, und dabei auch gelernt, dass ich nie wieder bereit sein werde, das Risiko des Schmerzes einzugehen – das Risiko, eine weitere Liebe zur Tür hinausgehen zu sehen und ihre Rückkehr versprechen zu hören. Wenigstens das ist mir klar geworden«, sagte sie, und ein trauriges Lächeln spielte um ihre Lippen.
Sie wandte sich von ihm ab und öffnete die Tür. Andrew verblüffte sich selbst, als er die Hand ausstreckte und ihre Hand ergriff, damit sie sich erneut zu ihm umdrehte.
»Kathleen, ich verstehe das alles gut. Vielleicht erzähle ich Ihnen eines Tages von meinen eigenen Gründen, meiner Angst. Aber im Augenblick würde ich mich über die Ehre freuen, Sie morgen in die Stadt begleiten zu dürfen.« Seine Stimme klang vor Nervosität gepresst.
Die Andeutung eines Lächelns lief über ihr Gesicht.
»Ich wäre geehrt, Colonel Keane, aber Sie verstehen hoffentlich, was ich Ihnen erzählt habe, sodass Sie meine Gefühle respektieren.«
Andrew nickte lahm und ließ ihre Hand los.
Nach einem kurzen Knicks drehte sie sich um und betrat ihre Hütte.
Eine ganze Weile stand Andrew noch vor ihrer Tür und kam sich wie ein dummer Schuljunge vor. Dann kehrte er zur eigenen Hütte zurück und bemerkte nicht mal, dass die Kopfschmerzen verschwunden waren.
»Regiment, präsentiert die Gewehre!«
Wie ein Mann rissen die Männer des 35. ihre Musketen in die Präsentierhaltung; die dunkelblaue Staatsflagge flatterte, zum Gruß geneigt, im Wind, während die Nationalfarben in aufrechter Stellung gehalten wurden.
Andrew wendete das Pferd und bezog Position mitten unter dem offenen Tor. Er zog den Säbel und hielt ihn zum Salut, während er Mercury mit den Knien lenkte.
Hinter der Standarte von Suzdal, mit der Sonne und den gekreuzten Schwertern und dem Bärenkopfwappen des Hauses von Iwor, zog die Kolonne der Ritter durch das Tor, angeführt von Iwor selbst. Andrew steckte den Säbel in die Scheide, wendete das Pferd und fiel neben Iwor ein.
Neben dem gewaltigen, an ein Clydesdale erinnerndes Pferd des Bojaren hatte Andrew das Gefühl, einen Riesen zu begleiten. Iwor saß in königlicher Haltung auf seinem Riesenross und sah sich durch Emils Brille um, die auf der Spitze seiner runden Knollennase hockte. Andrew fasste ihn genau ins Auge. Er hatte schon gelernt, dass Iwor niemand war, der seine Gefühle gut zu verbergen verstand. Er sah, wie den Bojaren die Leistungen der zurückliegenden vier Wochen erstaunten. Fort Lincoln war eine solide geplante Anlage mit breiten Straßen; die Dorfwiese diente als Drillplatz, und die aus Erde errichteten Befestigungen wirkten wahrhaft einschüchternd.
Irgendwie gab Iwor eine etwas uneinheitliche Erscheinung ab in der Plattenrüstung, dem spitzen Stahlhelm, Schild und Speer und als Gegenpol mit der Brille aus dem neunzehnten Jahrhundert und der Visitenkarte Lincolns, die ihm Andrew geschenkt hatte und die Iwor wie einen Talisman am Schild trug.
»Ist Eure Gesundheit gut?«, fragte Iwor auf Rus.
Andrew, der noch nicht eingestehen wollte, dass er etwas von dieser Sprache verstand, sah Kal an, der prekär auf Emils Stute balancierte und neben ihm ritt.
Ihm war klar, dass Kal von seinen erworbenen Sprachkenntnissen wusste – schließlich stammten sie von Kal und inzwischen auch Tanja. Der Bauer verriet jedoch nichts und übersetzte die Worte.
»Fragen Sie Seine Durchlaucht, ob er bereit für die Schifffahrt ist«, forderte ihn Andrew auf.
Iwor rang sich ein Lächeln ab.
»Da, da.« Aber Andrew erkannte sehr wohl die Nervosität des Bojaren, denn zweifellos waren einige der Leute, die am Vortag das Anlegemanöver verfolgt hatten, direkt zu Iwor gelaufen, um Meldung zu machen. Andrew drehte sich leicht im Sattel und stellte fest, dass auch Rasnar bei der Gruppe war, und nach dem Begriff zu urteilen, den sich der Colonel bislang von der hiesigen Politik hatte machen
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