Das verlorene Regiment 01 - Der letzte Befehl
lebte Kal in der Angst vor der Auswahl zum Mondfest.
Er verbannte diesen Gedanken und betrachtete die beiden, die einander anstarrten und sich leise unterhielten. Längst liebte er diesen jungen Mann, als hätte Perm ihm einen Ersatz für den Jungen geschickt, den er vor so langer Zeit verloren hatte. In Hawthorne steckten Kraft und Sanftmut zugleich, so ungewöhnlich und auch so erwünscht bei jemandem, den Kill eines Tages seinen Sohn zu nennen hoffte.
Es war warm und behaglich in der Hütte. Ein kräftiges Feuer prasselte im Kamin und erfüllte den Raum mit warmem, fröhlichem Schein, und die Stille, die hier herrschte, bildete eine sanft aufliegende Decke des Glücks. Mehrere Laibe frisch gebackenes Brot lagen auf dem Tisch, und Ludmilla stand lächelnd in einer Ecke und betrachtete das Paar. Kal blickte zu ihr hinüber, und beide nickten einander zu, bewegt von alten Erinnerungen, die ihnen selbst nach fünfundzwanzig Jahren erhalten geblieben waren.
Die Stille dauerte nur wenige Augenblicke an, ehe die beiden jungen Leute aufblickten und sich errötend voneinander lösten. Kill lachte leise und wackelte mahnend mit dem Finger.
Jemand klopfte an die Tür, und Ludmilla beeilte sich, sie zu öffnen.
Ein verhutzelter alter Mann mit weißem Bart, der ihm bis auf die Taille hing, stand vor der Tür und stützte sich auf einen Stab aus poliertem Holz. Hinter ihm wurden ein Dutzend weitere Männer erkennbar, alle ähnlich gekleidet in ihren schlichten weißen Wollhemden, um die Taille gegürtet, die Beine mit kreuzweise umgebundenen Stoffwickeln vor der Herbstkälte geschützt.
»Frieden und Segen mögen auf diesem Haus ruhen«, sagte der alte Mann und verbeugte sich tief.
»Und Segen auch auf dir, Nahatkim, und deinen Verwandten und Freunden«, sagte Kal, ging zur Tür und verneigte sich im Gegenzug.
Als die Männer nacheinander eintraten, reichte Ludmilla jedem ein Stück Brot auf einem kunstvoll bemalten Brett, auf dem auch eine Schale mit Salz stand. Jeder nahm sich eine Scheibe Brot, tunkte sie ins Salz und drehte sich zu der einfach gestalteten Ikone von Kesus um, die die Ostwand des Raums schmückte.
Jeder schlug zuerst das Kreuzzeichen, aß das Brot, verbeugte sich vor der Ikone und setzte sich an den Tisch.
Ein Augenblick nervösen Schweigens trat ein, während die Männer sich setzten und Tanja und Ludmilla herumeilten, Tee einschenkten und Teller mit Brot, eingelegtem Grüngemüse und gesalzenem Fleisch auftrugen.
Kal blickte zu Hawthorne hinüber und lächelte. Hier war so etwas wie eine Falle zugeschnappt. Vincent hatte nichts von den Besuchern gewusst, und er hatte auch keine Ahnung, weshalb die Männer eingeladen worden waren.
Nahatkim war vielleicht einer der Ältesten überhaupt in Suzdal und wurde demzufolge mit Respekt behandelt. Obwohl er nur Lederhändler war, erwiesen ihm sogar die Adligen einen Hauch von Achtung, und in Angelegenheiten der Kaufmannschaft hörte man ihm zu und gehorchte man ihm, denn das Alter hatte ihm auch tiefe Einsicht vermittelt.
Die Übrigen waren allesamt bekannte Führer der Bauern von Suzdal und der umliegenden Ländereien. Boris, ein Vetter Kals, konnte sogar lesen und genoss deshalb den größten Respekt. Der große stramme Wassilia war ein Kastenmischling, Sohn einer Bauersfrau und eines Adligen. Obwohl der seit langem verstorbene Vater ihn ignoriert hatte, bewegte sich Wassilia in beiden Kreisen und intervenierte oft für Bauern, die Schwierigkeiten hatten; somit war er hochgradig geachtet und galt den unteren Klassen als Ratgeber und Vertrauter.
Sie waren alle aus einem bestimmten Grund hier, und Kal zögerte nicht zu beginnen.
»Mein Freund Hawthorne und ich sprachen gerade über die Geheimnisse der Yankees, als ihr guten Freunde eintraft«, sagte er unschuldig, beugte sich vor und schlug Vincent auf die Schulter.
»Geht es Eurem Bein gut?«, erkundigte sich Nahatkim, das runzlige Gesicht voller Sorge.
»Ja, Sir«, antwortete Vincent auf Russisch. »Danke.«
»Ihr seid ein tapferer Mann«, flüsterte Nahatkim. »Wisst, dass Ihr Feinde gemacht habt, aber Eure tapferen Taten haben Euch viel mehr Freunde eingetragen.«
Vincent nickte, wusste keine Antwort.
»Vincent, ich habe meinen Freunden von einigen der Dinge erzählt, die wir beide miteinander besprochen haben«, sagte Kal aalglatt. »Würde es dir etwas ausmachen, ein solches Gespräch auch mit ihnen zu führen?«
Vincent zögerte einen Augenblick lang. Keane hatte die Männer mehrfach davor
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