Das verlorene Regiment 02 - Jenseits der Zeit
froh, dass ich endlich gehandelt habe.«
Verlegen wollte Vincent den Blick abwenden, aber Dimitri packte ihn und zwang ihn, sich wieder umzudrehen.
»Da draußen«, flüsterte der Alte und deutete mit dem Kopf zur Tür, »wird immer das Gleiche gelten. Ich bin Ihr Adjutant, der alte Dimitri, und Sie sind der berühmte General. Aber Sie sind auch nur ein Mensch, mein Junge. Ich kenne diese Bürde. Ein Mann kann kein Mensch sein, ohne dass ihn das Töten verfolgt.
Der alte Dimitri wird das Geheimnis seines jungen Helden wahren.« Er lächelte. »Und ich halte Sie jetzt, wo ich von Ihrer Last weiß, noch mehr für einen Mann als zuvor.«
Vincent kämpfte darum, die Tränen zurückzuhalten, die ihm bei diesen Worten heiß in den Augen brannten.
Unfähig zu reden, konnte er nur dankbar nicken.
»Kommen Sie, General«, sagte Dimitri in einem anderen Tonfall. »Ich musste Sie ohnehin wecken.«
»Was ist denn los?« Er wurde sofort wach; der Albtraum wich zurück, rollte sich in einem inneren Winkel zusammen, um später zurückzukehren.
»Roum wird angegriffen, mein General. Ich denke, ein Krieg steht bevor. Marcus möchte Sie sofort sprechen.«
»Jesus Christus, nicht schon wieder!«
Er stieg aus dem Bett, während Dimitri schon nach den Burschen rief.
»Was zum Teufel passiert eigentlich?«, raunzte Vincent. Der Albtraum war vergessen, und er konnte kaum einen Augenblick Verzögerung ertragen, während ihm Dimitri und zwei Assistenten beim Anziehen halfen.
»Ein Sendbote hat Marcus vor einer halben Stunde aufgesucht. Plünderer haben den Hafen von Ostia kurz nach Mitternacht angegriffen.«
»Das sind acht Kilometer«, stellte Vincent fest, während er auf die Uhr sah, die auf dem Kaminsims tickte. Kurz vor drei. Wer immer das war, er konnte inzwischen eine Menge Schaden angerichtet haben, oder schlimmer noch, schon auf dem Marsch ins Binnenland sein.
»Es sind keine Tugaren?«
»Menschen; mehr wissen wir nicht.«
Das zumindest war eine Erleichterung. Den Winter über hatten zerstreute Banden die Süd- und Ostgrenze von Roum attackiert, mehrere hundert Kilometer weit im Südosten. Tausende wurden verschleppt, aber dann schien der gefürchtete Feind vom Angesicht Waldennias verschwunden zu sein.
Vincent schnallte den Säbel um und betrachtete sich im Messingspiegel. Selbst um drei Uhr früh musste ein Botschafter ruhig und gefasst aussehen, der perfekte Kriegerstaatsmann – auch wenn er erst zwanzig war. Er klappte das Halfter auf, zog den Revolver und kontrollierte, ob Zündkapseln und Munition in Ordnung waren. Die kostbare Waffe war ein Geschenk Emils: ein leichter ‚36er-Colt, der eher beeindrucken als schützen sollte, einer von gerade mal einer Hand voll Revolvern auf dem gesamten Planeten. Er drehte den Zylinder und steckte die Waffe ins Halfter zurück.
»Das Regiment und die Batterien sollen vor Marcus’ Palast Aufstellung beziehen.«
»Ich habe bereits Alarm gegeben«, sagte Dimitri.
Vincent sah ihn an und lächelte.
»Gut. Wir haben ein Bündnis mit Marcus, und ich möchte ihm gleich demonstrieren, dass wir vorhaben, uns daran zu halten. Bislang kennen wir die Lage nicht – womöglich ist es nur ein verdammter Piratenüberfall. Irgendwas hat sich bei diesen Carthas zusammengebraut. Vielleicht ist es das jetzt.
Gehen wir.«
Er ging hinaus auf den dunklen Flur, und die Wachtposten vor seiner Tür nahmen forsch Haltung an. Vincent betrachtete sie einen Augenblick lang; sie nickten, und sein Blick schweifte zu Dimitri. Dann wandte er sich ab und ging weiter, Dimitri an seiner Seite. Vincent war neugierig, wollte aber nicht fragen.
»Die Männer denken, dass Sie die alten Schlachten erneut austragen; Soldatenträume, nichts weiter.«
Soldatenträume. Gott, er war Soldat! O’Donald hatte ihn als eine der besten Mordmaschinen auf dem Planeten bezeichnet.
»Dann sehen wir mal, ob wir unser Handwerk erneut ausüben müssen«, sagte er, und es klang fast so, als spräche er mit sich selbst. Sie verließen den Palast und eilten ins Forum, wo es bereits von Menschen wimmelte. Im Süden sah er den Horizont rot leuchten. Aufs Neue traf er Anstalten, in die Schlacht zu ziehen, und sein Bauch verspannte sich vor Aufregung und Furcht.
Mit zusammengekniffenen Augen blickte er aufs Meer hinaus, während der Nebel ein kontrastloses, trübes Licht entwickelte, in dem er sich brach und wirbelte. Der kleine Hafen von Ostia lag vor Vincent an der Küste des Binnenmeeres; der Tiber bildete die
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