Das verlorene Regiment 02 - Jenseits der Zeit
dazu: die Rufe der Zugpfeifen und das tiefe Rattern der Waggons.
Das 3. Suzdalische, das zu Kindreds Division gehörte, sollte als erste Einheit in fünfzehn Minuten aufbrechen. Es wurde Zeit, zum Bahnhof hinabzugehen.
Lebhaft schritt Andrew die Reihen ab. Viele der Gesichter waren Rus. Mehr als ein Drittel der Veteranen des Fünfunddreißigsten lebten nicht mehr, lagen auf dem alten Militärfriedhof neben den verlassenen Ruinen von Fort Lincoln begraben oder ruhten in irgendeinem unbekannten Grab zwischen hier und der Furt. Ein weiteres Drittel der Männer hielten sich heute Morgen an anderer Stelle auf, hielten Kommandopositionen in der Rusarmee oder waren wie Webster als Staatsbeamte unbefristet vom Dienst freigestellt. Die Verbliebenen jedoch bildeten den alten, massiven Kern einer Elitetruppe, die ihren Stolz offenkundig an die neuen Rekruten weitergab, welche die Ränge auffüllten und erpicht darauf waren, als Yankees zu dienen; diese Veteranen zogen es vor, hier als Gefreite zu dienen, obwohl mehr als einer von ihnen in einer anderen Einheit hätte Offizier werden können. In vielerlei Hinsicht bildete das Fünfunddreißigste so etwas wie die West Point Akademie dieses Planeten, die einzige Einheit der ganzen Republik, die das ganze Jahr hindurch eine aktive Militäreinheit war, entsprechend gedrillt wurde und ausgenommen blieb von den Arbeiten, wie die übrigen Soldaten sie ausführten.
Andrew blieb vor den Flaggen stehen und salutierte forsch. Ein Bursche führte Mercury zu ihm. Andrew tatschelte den alten Gefährten liebevoll, packte den Sattelknauf mit der einen Hand und schwang sich hinauf, wonach ihm der Bursche die Zügel reichte.
Laute Kommandos hallten die Reihe entlang, als Andrew Mercury sanft die Fersen gab. Trommeln schlugen; die Pfeifer griffen die Melodie auf, und Andrew lächelte in sich hinein, als er hörte, wofür man sich heute Morgen entschieden hatte. Sechshundert Mann stimmten die Eröffnungsstrophe von »The Girl I Lift Behind Me« an:
»Die Stunde voll Trauer, als ich nach langem Abschied die Maid verließ.
Mit Seufzen und Tränen hemmte sie meinen Schritt; ich glaubte, ihr bräche das Herz.
In eiligen Worten segnete ich ihren Namen, flüsterte die Schwüre, die mich binden, Und an mein leidendes Herz drückte ich sie, die ich zurückließ.«
Die Rus verwandelten das Lied mit ihrer Liebe zur Harmonie, besonders in Bässen, in ein seltsames, romantisches und mystisches Netz. Die Vorstellung, Krieg könne glanzvoll sein, hatte Andrew schon lange verloren, aber für einen kurzen Augenblick überfiel es ihn jetzt wieder: das Abschiednehmen im Morgengrauen, die Trommeln, der gleichmäßige, rhythmische Marschtritt der Männer hinter ihm.
Andrew lenkte das Pferd im Handgalopp an seinem Haus vorbei, und die Familien des Fünfunddreißigsten säumten die Straße. Schwungvoll zog er das Schwert und salutierte damit vor Kathleen, die auf der Veranda ihres Hauses im neuenglischen Salzboxstil stand, an dem bis hin zum weißen Lattenzaun alles stimmte, ein wundervolles Andenken an Maine an diesem fernen Ort. Er zügelte kurz das Pferd und sah Kathleen in ihrem fließenden Kleid an, in dem man die Schwangerschaft sah; ein warmes Licht erhellte ihre Züge.
Lächelnd nickte er ihr zu, trieb Mercury wieder zum Handgalopp und setzte so den Weg die Straße hinab fort. An der methodistischen Eckkirche wandte sich das Regiment nach rechts auf die Gettysburgstraße – benannt nach der alten Kompaniestraße in Fort Lincoln und nach einem der stolzesten Augenblicke in der Geschichte des Regiments – und marschierte bergan. Zwei weitere Blocks entlang durchquerten sie den Teil der Stadt, der von den Rus Yankeestadt genannt wurde. Hier war die Straße gesäumt von Schindelhäusern, die meisten nach wie vor im einstöckigen Salzboxstil oder im Cape-Cod-Stil mit Giebeldach, wenn auch mehr als einer hier ein richtiges viktorianisches Haus in Planung hatte, sobald die Hektik des industriellen Aufbaus erst mal abgeschlossen war und Arbeitskraft nicht mehr so strikt nur für die wesentlichsten Aufgaben eingeteilt blieb.
Ein breiter, offener Boulevard markierte das Ende des Viertels; an der anderen Straßenseite ragten die traditionellen Blockhäuser der Rus auf. Auf den Straßen drängten sich Familien, die dem vorbeimarschierenden Regiment zusahen. Fast alle Männer, die mobilisiert worden waren, hatten sich schon vor Stunden an den Bahnhöfen gemeldet, während ihre Familien zurückblieben, um dem
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