Das Verlorene Symbol
pervertierten und für ihre persönlichen Zwecke missbrauchten. Sie riefen die dunklen Mächte an, wobei sie die von ihnen verzerrte Form der alten Kunst zugrunde legten, und eine neue Kunst entstand, eine andere Kunst … noch mächtiger, noch unmittelbarer und vor allem noch berauschender.
Auch meine Kunst ist von dieser Art.
Von dieser Art ist mein Großes Werk.
Die erleuchteten Adepten und ihre esoterischen Bruderschaften beobachteten den Aufstieg des Bösen und sahen, dass die Menschen ihr neu gefundenes Wissen nicht zum Besten ihrer Spezies nutzten. Und so verbargen sie ihre Weisheiten, um sie vor den Augen der Unwürdigen zu schützen. Auf diese Weise gingen sie im Lauf der Geschichte verloren.
Damit einher kam der große Niedergang der Menschheit.
Und eine anhaltende Dunkelheit.
Bis zum heutigen Tag machten die edlen Nachkommen der Adepten unermüdlich weiter, strebten blind nach dem Licht und versuchten, die verlorene Macht ihrer Vergangenheit zurückzuerlangen, um die Dunkelheit in Schach zu halten. Sie waren die Priester und Priesterinnen der Kirchen und Tempel und Schreine aller Religionen der Welt. Die Zeit hatte die Erinnerungen ausgelöscht, die Vergangenheit von der Gegenwart getrennt. Die neuen Wächter des Glaubens kannten die Quelle nicht mehr, aus der ihre machtvolle Weisheit einst geflossen war. Wenn sie nach den göttlichen Mysterien ihrer Vorfahren gefragt wurden, reagierten sie mit lautstarkem Leugnen und verdammten sie als Häresie.
Haben sie tatsächlich vergessen?, fragte sich Mal'akh.
Echos der Alten Kunst hallten noch in sämtlichen Winkeln der Welt wider – von der mystischen Kabbalah des Judentums bis hin zu den esoterischen Ritualen der islamischen Sufis. Auch in den Lehren der Christenheit waren Überreste davon zu finden: in der Teilnahme an Christi Leib und Blut in der heiligen Kommunion, in der Hierarchie der Engel, Heiligen und Dämonen, in Chorälen und Kirchenliedern, in den geweihten Gewändern der Priester, in den astrologischen Grundlagen des heiligen Kalenders und in der Verheißung ewigen Lebens. Selbst heute noch vertrieben katholische Priester die bösen Geister durch das Schwenken von Weihrauchfässern, das Läuten geweihter Glocken und das Besprengen mit Weihwasser. Christen praktizierten die übernatürliche Kunst des Exorzismus – eine alte Glaubenspraxis, die nicht nur die Fähigkeit erforderte, Dämonen zu vertreiben, sondern auch, sie herbeizurufen.
Und doch sind sie blind für ihre Vergangenheit.
Nirgendwo war die geheimnisvolle Vergangenheit der Kirche offensichtlicher als in ihrem Epizentrum. In der Vatikanstadt, im Herzen des Petersplatzes, erhob sich ein großer ägyptischer Obelisk. Erschaffen dreizehnhundert Jahre bevor Jesus Christus seinen ersten Atemzug getan hatte, hatte der geheimnisvolle Monolith dort nicht das Geringste zu suchen. Es gab keinerlei Verbindung zur modernen Christenheit. Und doch stand er dort, im Zentrum der christlichen Kirche. Ein steinernes Fanal, das danach schrie, gehört zu werden. Eine Ermahnung an die wenigen Weisen, die sich noch erinnerten, wo alles begonnen hatte. Die christliche Kirche, geboren aus dem Leib der Alten Mysterien, hielt noch heute an deren Riten und Symbolen fest.
Und an einem Symbol ganz besonders.
Auf ihren Altären, Türmen, Gewändern, ihrer Bibel, prangte das zentrale Symbol der Christenheit. Das eines kostbaren, eines geopferten Menschenlebens. Die Christenheit verstand – mehr als alle anderen Religionen – die transformierende Macht des Opfers. Selbst heute noch boten ihre Anhänger ihre schwachen, fadenscheinigen Gesten von persönlichem Opfer dar – das Fasten.
Das Fasten, das Verzichten und den Zehnten.
Natürlich sind all diese Opfergaben ohne jede Bedeutung. Machtlos. Ohne Blut gibt es kein wahres Opfer.
Die Mächte der Dunkelheit hatten sich längst die Macht des Blutopfers nutzbar gemacht; dadurch waren sie so stark geworden, dass die Mächte des Guten sie nur noch mit Mühe im Zaum halten konnten. Schon bald würden sie das Licht vollkommen verschlingen, und die Adepten der Dunkelheit würden frei durch den Geist der Menschen schweifen.
KAPITEL 97
»Aber Eight Franklin Square muss es geben!«, beharrte Sato. »Sehen Sie noch einmal nach!«
Nola Kaye saß an ihrem Schreibtisch und rückte ihr Headset zurecht. »Ma'am, ich habe überall nachgesehen … diese Adresse gibt es in Washington nicht.«
»Ich stehe auf dem Dach von One Franklin Square«, sagte Sato. »Es
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