Das Verlorene Symbol
stieg in Mal'akh auf, als er den Kopf hob und an sich hinuntersah. Das lebende Artefakt seines Körpers hatte sein großes Opfer werden sollen, doch es war zerfetzt und blutüberströmt. Dutzende Glassplitter hatten sich wie Dolche in sein Fleisch gebohrt.
Er ließ den Kopf zurücksinken und starrte durch das Dachfenster. Der Helikopter war nun wieder verschwunden; an seiner Stelle leuchtete ein kalter, stiller Wintermond.
Mit weit aufgerissenen Augen rang Mal'akh nach Atem … ganz allein auf dem riesigen Altar.
KAPITEL 122
Das Geheimnis liegt darin, wie man stirbt.
Mal'akh spürte, dass es fehlgeschlagen war. Auf katastrophale Weise fehlgeschlagen. Es gab kein strahlendes Licht. Keinen wunderbaren Empfang. Nichts als Dunkelheit – Dunkelheit und unerträgliche Schmerzen. Selbst in den Augen. Er konnte nichts sehen, doch er spürte Bewegung ringsum, hörte Stimmen, menschliche Stimmen … und eine von ihnen gehörte Robert Langdon. Wie kann das sein?
»Es geht ihr gut«, sagte Langdon immer wieder. »Katherine geht es gut, Peter. Deine Schwester ist wohlauf.«
Nein, dachte Mal'akh. Unmöglich. Sie ist tot. Sie muss tot sein!
Mal'akh konnte nicht mehr sehen. Er konnte nicht einmal mehr sagen, ob seine Augen offen waren, doch er hörte, wie der Hubschrauber sich entfernte. Abrupt kehrte im Tempelsaal Stille ein. Mal'akh spürte, wie die gleichförmigen Rhythmen der Erde unregelmäßig wurden … als würden die natürlichen Wogen der Ozeane aufgewühlt von einem heraufziehenden Sturm.
Chao ab ordo.
Jetzt riefen fremde Stimmen durcheinander, wollten von Langdon wissen, was mit dem Laptop und der Videodatei sei. Zu spät, dachte Mal'akh. Der Schaden ist angerichtet. Das Video verbreitete sich inzwischen wie ein Lauffeuer bis in den letzten Winkel einer schockierten Welt, und es würde die Bruderschaft vernichten. Diejenigen, die in der Lage sind, die Weisheit zu verbreiten, müssen zerstört werden. Dummheit und Ignoranz ließen das Chaos wachsen. Das Fehlen von Erleuchtung nährte die immer schwärzere Dunkelheit, die Mal'akh erwartete.
Ich habe große Dinge vollbracht, und bald schon wird man mich empfangen wie einen König.
Mal'akh spürte, dass ein einzelnes Individuum leise an ihn herangetreten war. Er wusste sofort, wer es war, denn er roch die heiligen Öle, mit denen er den enthaarten Leib seines Vaters eingerieben hatte.
»Ich weiß nicht, ob du mich hören kannst«, flüsterte Peter Solomon in Mal'akhs Ohr. »Aber ich möchte dir etwas sagen.« Er berührte die heilige Stelle auf Mal'akhs Schädeldach. »Was du hier eintätowiert hast …«, er zögerte. »Es ist nicht das Verlorene Wort.«
O doch, das ist es, dachte Mal'akh. Du selbst hast mich überzeugt, über jeden Zweifel hinaus.
Nach der Legende war das Verlorene Wort in einer Sprache geschrieben, so alt und geheimnisvoll, dass die Menschheit vergessen hatte, wie man sie las. Diese Sprache, so hatte Peter Solomon enthüllt, war die älteste Schriftsprache der Welt.
Die Sprache der Symbole.
Und in dieser Sprache gab es ein Symbol, das über allen anderen stand. Das älteste und universalste von allen, ein Symbol, das alle alten Traditionen zu einem einzigen Bild verschmolz – die Illumination des ägyptischen Sonnengottes, den Triumph des alchimistischen Goldes, das Wesen des Steins der Weisen, die Reinheit der Rosenkreuzerrose, den Augenblick der Schöpfung, die Herrschaft der astrologischen Sonne, selbst das alles wissende, alles sehende Auge, das über der unvollendeten Pyramide schwebte.
Der Circumpunct. Das Symbol der Quelle. Des Ursprungs aller Dinge.
Das war es, was Peter Solomon ihm kurz zuvor verraten hatte. Mal'akh war anfangs skeptisch gewesen; dann aber hatte er noch einmal auf das Bildmuster geblickt, und ihm war klar geworden, dass die Pyramide direkt auf das einsame Symbol des Circumpuncts zeigte – eines Kreises mit einem Punkt in der Mitte. Die Freimaurerpyramide ist eine Karte, dachte er, wobei er sich die Legende ins Gedächtnis rief. Eine Karte, die auf das Verlorene Wort hinweist. Offensichtlich hatte sein Vater am Ende doch die Wahrheit gesagt.
Alle großen Wahrheiten sind schlicht.
Das Verlorene Wort ist kein Wort – es ist ein Symbol.
Eifrig hatte Mal'akh das Symbol des Circumpuncts in seine Kopfhaut tätowiert. Und während er dies getan hatte, war in ihm ein Gefühl von Macht und Befriedigung aufgestiegen. Mein Meisterwerk. Mein Körper ist bereit. Die Mächte der Dunkelheit erwarteten ihn nun.
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