Das Verlorene Symbol
war schwindlig. Sosehr er seinem alten Freund glauben wollte, er konnte es nicht. »Ist es noch weit?« Seine samtene Augenbinde war schweißgetränkt.
»Nein. Nur noch wenige Schritte. Durch eine letzte Tür. Ich öffne sie jetzt.«
Peter Solomon ließ ihn einen Augenblick los, und Langdon schwankte. Unsicher tastete er nach einem Halt, und Peter trat rasch wieder zu ihm. Vor sich hörte Langdon das Geräusch einer schweren Automatiktür. Peter nahm ihn beim Arm, und sie gingen weiter. »Hier entlang.«
Mit kleinen Schritten überquerten sie eine weitere Schwelle, und auch diese Tür fuhr hinter ihnen zu.
Stille. Kälte.
Langdon spürte sofort, dass dieser Ort, was immer er war, nichts mit der Welt auf der anderen Seite der Sicherheitstüren zu tun hatte. Die Luft war feucht und kühl wie in einer Gruft. Die Akustik wirkte dumpf, wie bei großer Enge. Langdon hatte das Gefühl, kurz vor einem irrationalen klaustrophobischen Anfall zu stehen.
»Nur noch ein paar Schritte.« Solomon führte ihn um eine Ecke und richtete ihn aus, indem er ihn bei den Schulter packte und ein Stück zur Seite drehte. Endlich sagte er: »Jetzt kannst du die Augenbinde abnehmen.«
Langdon packte die Samtbinde und riss sie sich herunter. Er blickte um sich, um herauszufinden, wo er war, doch er war noch immer blind. Er rieb sich die Augen. Nichts. »Peter, hier ist es stockdunkel.«
»Ja, allerdings. Streck die Hand aus. Vor dir ist ein Geländer. Halt dich daran fest.«
Langdon griff in die Dunkelheit und ertastete eine eiserne Stange.
»Und jetzt die Augen auf.« Er hörte, wie Peter mit irgendetwas hantierte, und mit einem Mal durchstach ein greller Taschenlampenstrahl die Dunkelheit. Er war auf den Boden gerichtet. Ehe Langdon erkennen konnte, was um ihn herum war, hob Solomon die Lampe über das Geländer und richtete den Lichtkegel genau nach unten.
Langdon starrte in einen bodenlosen Schacht … mit einer endlosen Treppe, die tief in die Erde hinunterführte. Mein Gott! Seine Knie gaben nach, und er musste sich am Geländer festhalten. Es war eine ganze normale Treppe; sie verlief an der Innenwand eines quadratischen Schachts entlang. Langdon sah wenigstens dreißig Treppenabsätze, ehe das Licht der Taschenlampe von der Dunkelheit verschluckt wurde. Ich kann nicht einmal den Boden sehen!
»Peter …«, stieß er hervor. »Wo sind wirhier?«
»Ich bringe dich gleich ans untere Ende der Treppe, aber vorher musst du dir noch etwas anderes ansehen.«
Zu überwältigt, um Einwände zu erheben, gestattete Langdon, dass Peter Solomon ihn von der Treppe weg und durch die seltsame kleine Kammer führte. Solomon hielt den Taschenlampenkegel auf den ausgetreten Steinboden unter ihren Füßen gerichtet. Immer noch erhielt Langdon keinen Eindruck von dem Raum ringsum … nur dass er eng war.
Eine kleine Steinkammer.
Rasch hatten sie die gegenüberliegende Wand des Raums erreicht, in die ein gläsernes Rechteck eingelassen war. Langdon hielt es zunächst für ein Fenster in einen Raum dahinter, doch von der Stelle, an der er stand, sah er auf der anderen Seite nur Dunkelheit.
»Geh nur«, sagte Peter. »Geh und sieh.«
»Was ist da drin?« Langdon dachte an die Dunkle Kammer unter dem Kapitol, und wie er einen Augenblick lang geglaubt hatte, sie könnte das Tor zu einer riesigen unterirdischen Kaverne enthalten.
»Sieh es dir nur an, Robert.« Solomon schob ihn vor. »Und halt dich fest, denn der Anblick wird dir einen Schreck versetzen.«
Ohne zu wissen, womit er zu rechnen hatte, trat Langdon näher an das Glas heran. Als er dicht davor stand, schaltete Solomon die Taschenlampe aus, und die kleine Kammer versank in völliger Finsternis.
Während seine Augen sich an die Dunkelheit gewöhnten, streckte Langdon die Hände aus und ertastete die Wand und das Glas. Er brachte sein Gesicht dichter an das durchsichtige Portal. Dahinter war immer noch undurchdringliche Schwärze.
Er beugte sich noch näher … drückte das Gesicht gegen das Glas. Dann sah er es.
Die Woge aus Schock und Desorientierung, die Langdon überflutete, stellte seinen inneren Kompass völlig auf den Kopf. Beinahe wäre er nach hinten gefallen, als sein Verstand sich mühte, den gänzlich unerwarteten Anblick, der sich ihm bot, als Wirklichkeit zu akzeptieren. In seinen kühnsten Träumen hätte Robert Langdon sich nicht ausmalen können, was sich auf der anderen Seite der Glasscheibe befand.
Es war ein wundervoller Anblick.
In der Dunkelheit
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