Das Vermachtnis der Sternenbraut - Unter dem Weltenbaum 05
möglich.« Er zuckte die
Achseln.
Wolfstern hätte noch Schlimmeres zu vermelden
gehabt, aber das behielt er für sich, weil seine Tochter
noch nicht wieder stark genug war, um auch das noch
ertragen zu können. Sie würde alles weitere noch früh
genug erfahren.
Alle drei schwiegen geraume Zeit, denn Wolfstern
wollte ihnen Gelegenheit geben, das Ausmaß seiner
Worte zu begreifen.
Bei den Sternen, dachte Aschure, er braucht mich jetzt
wirklich mehr als je zuvor. Ich muß sofort zu ihm … aber
nein, wie sollte mir das gelingen, da ich doch ans Bett
gefesselt bin. Hilflos muß ich hier liegen … aber
wenigstens sind die Zwillinge geboren.
Schließlich sah sie ihren Vater an: »Wir beide müssen
miteinander reden, und zwar dringend. Ich bin auf die
Insel des Nebels und der Erinnerung gekommen, weil ich
hoffte, hier Antworten auf meine Fragen zu finden. Und
weil ich mehr über meine zauberischen Fähigkeiten in
Erfahrung bringen wollte. Ihr, Wolfstern, verbergt Euch
selbst und die Wahrheit hinter Geheimnissen und
Rätseln, hinter Schatten und Leid jenseits aller Vorstellung. Davon will ich heute abend aber nichts mehr
wissen. Jetzt verlange ich Erklärungen von Euch!«
Ihr Vater nickte. »Ja, es ist an der Zeit. Aber Sternenströmer muß dann den Raum verlassen.«
»Nein!« rief ihr Schwiegervater, und sie spürte, wie
sich seine Hand wieder ballte.
»Nein«, erklärte darum auch Aschure, »Sternenströmer bleibt. Ihr habt weit mehr Personen Rede und
Antwort zu stehen als nur mir. Deswegen soll er Zeuge
Eurer Worte werden.«
Ein gefährliches Glitzern trat in Wolfsterns Augen,
und er legte den Kopf in den Nacken, aber dann gab er
überraschenderweise nach, wenn auch nur unter Einschränkungen: »Einige der Geheimnisse sollt trotzdem
nur Ihr allein erfahren.« Er hob Aschures Rechte und
wies auf den Ring der Ersten Zauberin. »Der Reif
verlangt es so. Ebenso wie Eure eigene Macht. Wenn Ihr
in die Bestimmung hineingewachsen seid, die Euch
vorhergesagt ist, werdet Ihr feststellen, daß Ihr auf Euch
allein gestellt seid. Nicht einmal ich kann Euch dann
noch beistehen.«
Aschure sah ihn fragend an, aber ihr Vater äußerte
sich nicht weiter dazu, sondern forderte sie auf: »Nun,
dann beginnt. Was wollt Ihr wissen?«
Aschure fing mit dem an, das sie am längsten und
tiefsten schmerzte: »Warum habt Ihr Niah belogen?«
Er sah sie verwundert an: »Belogen? Ich verstehe
nicht, was Ihr meint.«
Die junge Frau wandte sich an ihren Schwiegervater:
»Könntet Ihr bitte den Brief holen?«
Sie hatte Sternenströmer die Zeilen noch in derselben
Nacht gezeigt, in der sie sie zum ersten Mal gelesen
hatte. Der Zauberer holte das Schreiben nun aus einer
Schatulle und reichte ihn seinem Ahnen.
Wolfsterns berückende violette Augen weiteten sich,
als er Niahs Worte las.
»Sie war so wunderschön, sowohl an Körper als auch
an Seele«, meinte er schließlich und sah seine Tochter
an. »Aber ich begreife immer noch nicht, was Ihr damit
meint, ich hätte sie belogen.«
»Ihr habt Ihr gesagt, daß Ihr sie liebt. Warum mußtet
Ihr meine Mutter mit dieser Lüge täuschen?«
»Ich habe Niah gegenüber nicht einmal die Unwahrheit gesagt«, antwortete Wolfstern. »Nicht ein einziges
Mal. Damals habe ich sie geliebt, und heute tue ich das
immer noch.«
Aschures Gesicht verzerrte sich. »Und sie wiederauferstehen lassen? Wollt Ihr mir wirklich weismachen, es
stünde in Eurem Vermögen, daß sie wiedergeboren
wird?«
»Was zwischen mir und Niah war und ist, darüber bin
ich Euch keine Erklärung schuldig, Tochter.«
»Doch, das seid Ihr!« schrie sie ihn an und fuhr von
ihrem Kissen hoch. »Denn ich war schließlich diejenige,
die ihren Tod mit ansehen mußte!«
Wolfstern zuckte zurück, und Sternenströmer beugte
sich näher zu seiner Schwiegertochter und murmelte
einige beschwichtigende Worte.
»Ich habe also ein Recht darauf«, erklärte Aschure
ruhiger und sank in ihre Kissen zurück. »Erklärt mir
alles.«
»Niah wird wiedergeboren werden, Aschure«, sagte
ihr Vater ganz ruhig und wich dem strengen Blick seiner
Tochter nicht aus. »Aber dazu kann es erst in ein paar
Jahren kommen. Nach der Prophezeiung. Mehr darf ich
Euch jetzt nicht darüber verraten.«
Die junge Frau nickte und war gewillt, sich damit
zufriedenzugeben. Dennoch quollen ihr Tränen aus den
Augen. Sie hob eine Hand, um sie wegzuwischen.
»Warum mußte sie sterben, Vater? Warum mußte sie
so viele Jahre unter Hagens
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