Das Vermachtnis der Sternenbraut - Unter dem Weltenbaum 05
sehen«,
flüsterte sie und starrte dann die Decke an. »Im Moment
fühle ich mich einfach noch zu mitgenommen. Und den
Zwillingen möchte ich, glaube ich, nie mehr begegnen.«
Lange saß Sternenströmer an ihrem Bett und strich ihr
über die Stirn. Er freute sich sehr, daß sie wach war und
sprechen konnte. Aber ihre Mattigkeit und Niedergeschlagenheit betrübten ihn. Doch wie hätte sie sonst den Tod
ihres Liebsten aufnehmen sollen? Der Zauberer fühlte sich
ja selbst, als hielte kalte Schwärze seine Seele umfangen.
Dort, wo er vorher ständig Axis’ Lebensenergie gespürt
hatte, gähnte jetzt nur noch unergründliche Leere.
Die junge Frau bewegte ihren Kopf und sah ihren
Schwiegervater wieder an. Tiefe Schatten lagen unter
ihren Augen. »Er hat gesiegt, nicht wahr? Der dunkle
Gorgrael triumphiert. Nichts und niemand kann ihm
mehr den Weg nach Tencendor verwehren.«
»Morgen«, murmelte der Ikarier »morgen unterhalten
wir uns in aller Ausführlichkeit darüber. Jetzt müßt Ihr
Euch erst ausruhen.«
Jemand klopfte an die Tür, und Sternenströmer hob
unwillig den Kopf.
»Wer mag das sein?« flüsterte die junge Frau.
»Vielleicht die Erste«, antwortete der Zauberer ebenso
leise, und dann lauter: »Herein!«
Die Tür schwang leise auf, und Wolfstern Sonnenflieger betrat den Raum.
Sternenströmer und Aschure erstarrten gleichermaßen.
Sternenströmer hatte sofort gewußt, daß er es war. Dieser
Mann, der da hereinkam, strahlte unglaubliche Energie
aus. Sie blitzte in seinen Augen, und sein Blut sang nach
Sternenströmer.
Lange Zeit sahen die beiden Zauberer sich nur an, so
als überlegten sie, wie sie den Angriff am besten
beginnen sollten, um den anderen möglichst rasch
niederzuzwingen. Dann bewegte Wolfstern sich auf
Aschures Bett zu, faltete die goldenen Flügel vornehm
auf dem Rücken zusammen, ließ sich auf der Kante
nieder und lächelte seine Tochter an.
»Aschure, was habt Ihr nur durchmachen müssen.«
Die junge Frau spürte, wie die Hand Sternenströmers
auf ihrer Stirn sich ballte, und sie sandte ihm einen
flehentlichen Blick zu: »Schwiegervater, tut bitte nichts
Unüberlegtes.«
»Er wäre ein Narr, wenn er es nur versuchte«, knurrte
Wolfstern, und bedachte seinen Nachfahren mit einem
Blick, in dem all die ungeheure Zaubermacht funkelte.
Die Spannung zwischen den beiden Männern ließ sich
mit Händen greifen, und zum ersten Mal an diesem Tag
wurde Aschure von ihrem Verlust abgelenkt. »Bitte, Ihr
Herren, ich bitte Euch!«
»Ihr habt meine Mutter ermordet!« schrie Sternenströmer den Urahn an und machte Miene aufzuspringen.
»Ebenso wie Eure schwangere Gemahlin. Und Ihr habt
Hunderte ikarischer Kinder in den Tod geschickt! Glaubt
ja nicht, daß wir hier freundlich zusammensitzen und mit
Euch höflich plaudern werden!«
Die junge Frau legte ihm ihre zitternde Hand auf den
Arm. Eine schwache Berührung, die aber ausreichte, daß
ihr Schwiegervater sich wieder beherrschte. Doch seinen
starren Blick wandte er nicht vom Wolfstern und
fletschte dazu auch noch angriffslustig die Zähne.
»Für alles, was ich tat, lagen gute Gründe vor, Ihr
törichter Vogelmann«, gab Wolfstern unwirsch zurück.
»Ich lasse mich jedenfalls nicht von irgendwelchen
dummen aufwallenden Leidenschaften oder fleischlichen
Begierden regieren! Und ich trage mehr Verantwortung,
als Ihr Euch das überhaupt ausmalen könnt!«
»Und auch mehr Schuld, wie ich mir dafür umso
besser vorstellen kann!«
Der Zauberer aus der fernen Vergangenheit blähte die
Nasenflügel und spannte alle Muskeln an, als wolle er
sich auf den Jüngeren stürzen. Aschure spürte, wie die
Luft zwischen den beiden knisterte.
»Aufhören!« wollte sie schreien, bekam aber nur ein
Krächzen heraus. Beide Zauberer sahen sofort besorgt
nach ihr. »Solange ich hier krank und leidend im Bett
liege, werdet Ihr beide Euch zivilisiert benehmen«,
erklärte die junge Frau den beiden. »Sternenströmer, ich
dulde nicht, daß Ihr Rache für alle Missetaten Wolfsterns
nehmt. Habt Ihr mich verstanden? Denn ich will Euch
nicht auch noch verlieren!«
Ihr Schwiegervater nickte steif, senkte den Blick und
starrte ihre Decke an.
»Und Ihr, Wolfstern …« Aschure wartete, bis sie
seiner ganzen Aufmerksamkeit sicher war. »Ihr solltet
eigentlich wissen, in welch schlechter Erinnerung die
Ikarier Euch behalten haben. Könnt Ihr Sternenströmer
seinen Groll verübeln? Oder seinen Schmerz? Achtet ihn,
verhöhnt ihn nicht
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