Das Vermachtnis der Sternenbraut - Unter dem Weltenbaum 05
steinernen Gewölben unter Hsingard großziehen.
Bei ihrem letzten Besuch an diesem Ort hatte Aschure
nur durch rasche Flucht ihr Leben und das ihrer Soldaten
retten können. Sie hatte zwar den Skrälingen einen
schweren Schlag versetzen können, doch ihr größeres
Verdienst hatte darin bestanden, die Abteilung mehr oder
weniger heil aus der Stadt hinauszubringen. Und heute
kehrte sie ganz allein zurück, um die Arbeit zu beenden,
die sie vor neun Monaten lediglich hatte beginnen können.
Die Jägerin ritt den ganzen Tag, und weder Roß noch
Reiterin und nicht einmal die Hunde wurden müde. Am
Abend gelangten sie über den letzen Paß vor Hsingard.
Nur noch zwei Meilen trennten sie von dem Ort.
Die Alaunt sprangen vor Venator her. Sie hatten bereits Witterung aufgenommen und fletschten die Zähne.
Ein mächtiger Mondstrahl erleuchtete der Jagdgesellschaft den Weg – er strahlte so hell, als herrsche Vollmond. Dabei war der Mond selbst noch gar nicht so weit.
Es war wie ein Wunder. Und genauso wunderbar und
unerklärlich waren die violetten Mondwildblumen, die
gelegentlich trotz der wütenden Winde sanft vor Aschure
herabschwebten.
Hinter ihr verging das Mondlicht, und in seinem Vergehen rissen die Böen die zarten Blüten entzwei.
Aber von dem, was hinter ihrem Rücken vorging,
merkte die Jägerin nichts, denn sie hatte wie ihre Meute
nur Augen für die Trümmerhaufen, die zwanzig Schritte
vor ihr aufragten und sich zwei Meilen weit von Norden
nach Süden erstreckten: Hsingard.
Sie lehnte sich im Sattel zurück, nahm den Bogen von
der Schulter und legte den ersten Pfeil auf die Sehne.
»Auf zur Jagd!« rief sie, und die Alaunt stimmten ihr
Jagdgeheul an.
Ihre hellen Leiber schlängelten sich durch die Ruinenschatten, und schon waren sie in Lücken und Löchern
verschwunden. Bald war von dem ganzen Rudel nichts
mehr zu sehen, aber Aschure vernahm den Widerhall
ihres Jagdgebells, das sie durch den Boden erreichte und
von den toten Straßen der Stadt zurückgeworfen wurde.
Nicht lange darauf trieben die Hunde kreischende
Skrälinge – Eltern wie Junge – aus ihren unterirdischen
Kammern. Die Kreaturen blieben immer wieder stehen
und versuchten, die Alaunt zu packen und zu beißen.
Doch sie bekamen nie auch nur einen von ihnen zu
fassen, denn sie schienen nur bleiche Schatten zu sein mit
goldenen Augen und scharfen Reißzähnen. Die Geister
bissen und kratzten, aber stets ins Leere, und so blieb
ihnen nichts anderes übrig, als vor diesen Ungeheuern
davonzulaufen.
Auf der Straße stand die Jägerin und hörte das Geschrei ihrer Feinde. »Nach oben!« befahl sie mit Donnerstimme. »Schickt sie nach oben!« Die Alaunt vernahmen
ihre Herrin, zogen die Lippen zu einem grausamen
Lächeln zurück und jagten die Skrälinge jetzt auf die
Erde hinauf.
Dazu waren die Riesenhunde ausgewählt, gezüchtet
und abgerichtet worden – zu jagen und mit der Jägerin
die Beute zu erlegen.
Venator tänzelte voll Unruhe, und Aschure hob den
Wolfen an und zielte über die Länge des Pfeils hinweg
… Keinen Moment zu früh, denn schon schoben sich die
Geister zu Dutzenden, zu Hunderten und zu Tausenden
aus den Löchern und Ritzen. Sie ruderten mit den
Armen, Panik flackerte in ihren großen Silberaugen, die
Mäuler waren weit aufgerissen, und sie schrien …
Aschure ließ den ersten Pfeil von der Sehne schnellen,
legte fast im selben Moment den nächsten auf, schoß
auch ihn ab, zog schon den dritten aus dem Köcher und
sandte auch ihn gegen die Feinde …
Und so starben die Skrälinge.
Die Kreaturen wähnten sich in ihrer Furcht von zehntausend Bogenschützen umzingelt, gegen die sie von
mindestens ebenso vielen reißenden Bestien getrieben
wurden. Pfeil um Pfeil sauste aus dem widerlich hellen
Mondlicht heran. Wie ein Regen so dicht kamen die
Geschosse über die Skrälinge, und keiner von ihnen
vermochte ihnen zu entkommen. Nicht einmal verfehlte
ein Pfeil sein Ziel, sondern bohrte sich wie aus eigenem
Antrieb durch die Lücke zwischen den schützenden
Knochenwülsten in die Silberaugen. Bald übertönte das
Geräusch von platzenden Augäpfeln sogar das Gekreische der noch Lebenden und die zunehmende Erregung
der vor Aufregung heulenden Alaunt.
Für jeden gefallenen Skräling schwebte eine Mondwildblume sanft durch die Nacht heran. Irgendwann war
der ganze Boden mit den zierlichen violetten Blüten
bedeckt, die hier und da auf Bächen von hellrotem Blut
schwammen.
Aschure hielt keinen
Weitere Kostenlose Bücher