Das Vermachtnis der Sternenbraut - Unter dem Weltenbaum 05
Ich bin der Zerstörer,
Lieber Mann, und mein Plan läuft auch auf Zerstörung
hinaus. Axis mag versuchen, mich mittels netter kleiner
Zaubereien aufzuhalten, und dennoch werde ich Tencendor vernichten. Wenn die Greifen sich so vermehren wie
bisher, werden in kaum einem Jahr eine halbe Million
Tiere den Himmel über Tencendor bevölkern, Dunkler
Mann. Stellt Euch das einmal vor. Eine halbe Million.
Und wenn es meinem wohlgestalteten Bruder hie und da
gelingt, das eine oder andere Tier zu töten? Oder wenn
seine Armee vierzig- oder fünfzigtausend Greifen
erledigt? Selbst wenn nur ein einziges Tier entkommt,
wird es neun Junge hervorbringen, und diese neun
werden jeweils neun zur Welt bringen, und … ich kann
mir die Fortsetzung sparen. Solange nur ein Greif am
Leben bleibt, werden binnen zweier Jahre erneut
wenigstens sechzigtausend dieser Flugbestien die
Himmel über Tencendor verdunkeln.« Unter seiner
Kapuze starrte der Dunkle Gorgrael entsetzt an.
»Also muß Euch klar geworden sein«, fuhr sein Schüler fort, »daß Axis selbst für den Fall, daß er mich im
Kampf vernichtet, wenig Grund zur Freude haben wird.
Nicht einmal der Sternenmann dürfte in der Lage sein,
mit der Bösartigkeit der Greifen fertig zu werden. Mit der
Zeit wird nichts mehr von seinem grünen, angenehmen
Land übrigbleiben, abgesehen von den Schatten der
Greifen, die kreischend ihre Runden am Himmel drehen.
Sie werden die Sonne verfinstern und vernichten,
vernichten und abermals vernichten, bis nichts – rein gar
nichts mehr – übrig ist!«
Bei den Sternen, ging es dem Dunklen durch den
Kopf, und er spürte, wie um ihn herum die Pläne von
dreitausend Jahren zu Staub zerfielen.
Mit einem triumphierenden Grinsen genoß Gorgrael
das Gefühl, seinen Lehrmeister endlich geschlagen zu
haben. Nachdem ihm dies gelungen war, würde er auch
Axis besiegen, dessen war sich der Zerstörer sicher.
5 E INE GÖTTLICHE
M
ISSION
Von dem Augenblick an, als die koroleanischen Frachtschiffe ihre verräterischen Piraten in den brodelnden
Hexenkessel der Schlacht am Bedwyr Fort ausspien,
hatte Gilbert gewußt, daß Bornheld ein toter Mann war.
Der König und sein Heer hatten vollkommen versagt,
sowohl bei ihrer Aufgabe, den Seneschall zu schützen,
als auch bei ihrer vornehmsten Pflicht, nämlich der Treue
Artor gegenüber.
Nicht nur würde nun der wunderbare Turm des Seneschalls von Axis und den Unaussprechlichen eingenommen werden, begriff Gilbert, auch Karlon selbst, der
Hauptstadt, stand der Untergang bevor. Und er erkannte
mit äußerster Klarheit, daß er seine Zukunft so weit
entfernt wie nur irgend möglich von Jayme, Bornheld
und Karlon suchen mußte. Möglicherweise ruhte die
Zukunft des Kirche und damit des Weges des Pfluges auf
seinen Schultern. Jayme hatte sich, wie es schien, als
nutzlos erwiesen, als es darum ging, die nicht unbeträchtlichen Kräfte des Seneschalls gegen Axis’ Armee
einzusetzen. Nun lag die Bruderschaft zerschlagen unter
den Trümmern von Achar.
So hatte sich Gilbert stillschweigend von seinem
Kirchenfürsten und von Moryson entfernt, die hoch oben
auf den Türmen von Karlon standen, und war über
Hintertreppen und Gänge gehastet, bis er das Haus eines
seiner zahlreichen Vettern in dieser Stadt erreichte. Dort
hatte er sich ein Pferd, Kleidung, Verpflegung und eine
Börse voll Goldmünzen für die Flucht aus Karlon
erbeten, und war keine fünf Minuten, bevor Bornheld
und Gautier nach ihrem Rückzug vom Schlachtfeld den
Befehl gaben, die Tore zu schließen, aus der Hauptstadt
geflohen.
Nach zwei Tagen angestrengten Ritts weit hinunter in
den Süden wandte der Mönch sich nach Osten, wobei er
bei dem Versuch, spät in der Nacht den Nordra zu
überqueren, beinahe ertrunken wäre, um seinen langen
Weg über die südlichen Hochebenen von Tare anzutreten. Gilbert wußte nicht so recht, wohin ihn sein Weg
führen würde. Ein unerklärlicher Drang bewegte ihn
dazu, sich in östliche Richtung zu begeben, vielleicht
nach Arkness und anschließend nördlich nach Skarabost.
Jede Nacht flehte Gilbert Artor an, ihn zu leiten. Gewiß würde der höchste und einzige Gott weder ihn noch
den Seneschall in der Stunde ihrer höchsten Not im Stich
lassen.
In der dritten Woche des Totlaubmondes, fast einen
Monat nach der Schlacht am Bedwyr Fort, saß Gilbert
mißmutig am Lagerfeuer und grübelte über seine Zukunft
nach. Seine Aussichten schienen alles andere als gut.
Gelegentlich traf
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