Das Vermachtnis der Sternenbraut - Unter dem Weltenbaum 05
Dienst in den Dörfern
versahen – mußten zu dieser Zeit ebenso unsicher und
ohne rechtes Ziel herumziehen wie er und Moryson.
Alleine konnten sie nichts bewirken, aber gemeinsam …
»Du hast den Nagel auf den Kopf getroffen, Moryson«, erklärte er. »Ich beabsichtige, nach Osten zu
wandern und alles aufzusammeln, was von den Resten
der Bruderschaft noch übrig sein mag.«
»Und dann?« wollte der Alte wissen. »Was fangen wir
mit ihnen an?«
»Am besten warte ich ab, bis wir ungefähr ein Dutzend beisammen haben, Moryson«, wich Gilbert aus,
»und dann werde ich dir sagen, wie mein Plan aussieht.«
Mit hängenden Schultern nickte Moryson. Der junge
Mönch hatte ihn als starken, stolzen Mann in Erinnerung,
wenn auch nicht körperlich, so doch im Geiste, aber der
Moryson, der ihm jetzt am Feuer gegenübersaß, wirkte
gebrochen, ja nahezu unterwürfig.
Nun, überlegte Gilbert, der Alte hat ein paar üble
Wochen durchgemacht und mußte mit ansehen, wie sein
Leben und seine Macht zerstört wurden. Kein Wunder,
daß sich der ehemalige Erste Berater nichts weiter
wünscht, als in eine warme Decke gehüllt in einem
Sessel am Feuer zu sitzen. Gilbert lächelte, als ihm
bewußt wurde, wie dramatisch sich die Beziehung
zwischen ihm und Moryson verändert hatte. Nun war er
die treibende Kraft, jetzt konnte er bestimmen, was zu
tun war und zu welchem Zeitpunkt, und Moryson würde
nicken, allem zustimmen und erklären, Gilbert wisse es
am besten.
Um dieses Feuer herum saßen die beiden ranghöchsten
verbliebenen Mitglieder des Seneschalls, denn Axis hatte
Jayme in der Zwischenzeit ganz bestimmt aufgespießt,
und von diesen zweien war Gilbert ohne Zweifel der
stärkere. Das macht mich zum Führer des Seneschalls,
ging ihm plötzlich auf. Ich bin wirklich und wahrhaftig
der Bruderführer der Kirche!
Nach einigen Augenblicken der heimlichen Freude
dachte Gilbert endlich daran, die genießbaren Überreste
des Brotes anzuschneiden und einen Teil davon Moryson
anzubieten, zusammen mit ein wenig Fleisch und einem
runzligen Apfel. Das würde den alten Mann wenigstens
bis zum folgenden Morgen am Leben halten.
Nachdem sie ihr Mahl beendet hatten und das Feuer
niedergebrannt war, widmete sich Gilbert den allabendlichen Gebeten an Artor. Selbst während der grauenhaftesten Tage seiner Flucht hatte er niemals seine Abend-
und Morgengebete an den einzigen Gott vernachlässigt.
Man mochte über Gilbert sagen, was man wollte, aber
Mangel an Hingabe an seinen geliebten Gott waren ihm
ganz gewiß nicht vorzuwerfen.
Ein seltsames rhythmisches Stampfen riß Moryson und
Gilbert aus ihrer Andacht. Das Geräusch schien von allen
Seiten zu kommen, und die beiden Männer wechselten
verwirrte, angsterfüllte Blicke.
»Was ist das?« flüsterte der Jüngere schließlich, da er
es nicht wagte, laut zu sprechen.
Moryson entfuhr tatsächlich ein Wimmern, und Gilbert schaute ihn an. Moryson hatte bereits vorher
schwach und verängstigt gewirkt, aber jetzt war er ganz
und gar von Entsetzen erfüllt. Der Berater hatte sich so
klein wie möglich gemacht und zu einer Kugel zusammengerollt, als könne er dadurch in der Erde verschwinden und auf diese Weise dem entkommen, was sich auf
dem Weg zu ihnen befand.
»Was ist das?« zischte Gilbert.
»Aaah«, jammerte Moryson und kauerte sich noch mehr
zusammen und kratzte mit den Fingern den Boden auf.
»Moryson!«
»Artor!« schrie der Alte. »Da kommt Artor!«
Mit weit aufgerissenen Augen kauerte der Jüngere wie
gelähmt da. Für einen Augenblick schwankte er zwischen
tiefstem Entsetzen und überirdischer Ekstase.
Die religiöse Verzückung gewann schließlich die
Oberhand.
»Artor!« brüllte er und sprang auf die Füße. »Artor!
Ich bin’s, Gilbert! Dein wahrer Diener! Was muß ich tun,
Dir zu dienen? Was ist Dein Begehr?«
Verfluchter Narr, verfluchter Narr, verfluchter Narr,
murmelte Moryson immer und immer wieder in sich
hinein, und war sich dabei nicht sicher, ob er damit
Gilbert meinte oder sich selbst. Verfluchter Narr! Er
rollte sich zu einer noch kleineren Kugel zusammen.
Das seltsame Stampfen nahm zu, bis es beinahe einem
Donnern glich, und in der Ferne vermochte Gilbert ein
Licht zu erkennen. »Artor!« schrie er ein weiteres Mal.
Als das Leuchten näher kam, erkannte Gilbert, daß es
von zwei riesigen roten Bullen herrührte, die einen
ebenso gewaltigen Pflug zogen. Hinter ihnen schritt
Artor einher, eine Hand am Pflug, die andere, die den
Ochsenziemer
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