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Das Vermachtnis der Sternenbraut - Unter dem Weltenbaum 05

Das Vermachtnis der Sternenbraut - Unter dem Weltenbaum 05

Titel: Das Vermachtnis der Sternenbraut - Unter dem Weltenbaum 05 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Douglass Sara
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beugte sich vor und stützte die Hände auf das
Pult. »Erzählt!«
Die Hände der Priesterin tasteten verstohlen nach ihrer
Schärpe und nestelten daran herum. »Eure Mutter kam
als Kind in den Tempel, um unterrichtet zu werden, wie
es bei so vielen Kindern aus Nor der Fall war. Aber es
gefiel ihr hier so sehr, daß sie darum bat, nach dem Ende
ihrer Ausbildung bleiben zu dürfen. Ich war fünf Jahre
jünger als sie und besuchte zu der Zeit, als sie ihr
Noviziat im Orden begann, die Mittelschule. Aber ich
erinnere mich noch gut an diese Zeit … so wie ich mich
an alles erinnere, was Eure Mutter betrifft.«
»Sie war sehr schön und freundlich, und sie liebte
mich.«
»All das kann ich bestätigen. Viel schöner, als Ihr es
zur Zeit seid, aber wahrscheinlich müßt Ihr noch zu Eurer
vollen Schönheit erblühen. Freundlich, gewiß, und sie
wußte zu lieben. Aber diese Vorzüge erkenne ich auch in
Euch, und dieses Licht hier macht mich beinahe glauben,
daß sie vor mir sitzt und nicht ihre Tochter.«
»Ihr Name ist … war Niah.«
»Ich wußte über ihren Namen Bescheid«, meinte die
Erste, »aber, Kind, Ihr müßt wissen, daß alle Priesterinnen ihren Namen ablegen, sobald sie das Noviziat
antreten. Für mich hatte sie keinen Namen … aber sie
bedeutete alles für mich.«
Sie schwieg, und als sie schließlich weitersprach, war
ihre Stimme schwer vor Trauer. »Sie ist tot, nicht wahr?«
Aschure neigte den Kopf. »Ja. Sie starb, als ich fünf
war. Sie … sie …«
»Ich will es nicht hören!«
Der Kopf der jungen Frau fuhr hoch, und ihr Blick
wirkte plötzlich hart und voller Zorn. »Niahs Tod blieb
viel zu lange unter Schmerz und Leugnen verborgen,
Priesterin, die Ihr beansprucht, ihre Freundin gewesen zu
sein! Wenn Ihr sie geachtet, sie geliebt habt, dann werdet
Zeugin ihres Todes! Tut wenigstens das für sie!«
Die Augen der Ersten weiteten sich, und ihre Hände
erstarrten, als sie über Aschures Schulter blickte. In den
dunklen Nischen des Raumes konnte sie Bewegungen
ausmachen, Stimmen hören, und schließlich sah sie …
sie sah …
Sie erblickte den über die Gestalt der sich wehrenden
Frau gebeugten Mann, sah seine Hände an ihrer Kehle
und schaute, wie er sie, Flüche ausstoßend, schüttelte.
Die Erste wurde Zeugin, wie er den Kopf der Frau in die
Flammen stieß und sah das Flackern und Aufflammen
des Feuers, das den gesamten Körper der Frau umloderte. Sie hörte das Stöhnen und die Schmerzensschreie der
Frau, und sie vernahm, wie sie den Namen des Kindes
schrie, das vor Entsetzen zusammengekauert in der Ecke
hockte.
»Aschure! Du bist ein Kind der Götter. Suche die
Antwort auf dem Tempelberg! Aaah!«
Und wieder schrie die Trau.
»Aschure!« Der Feuerball, der ihren ganzen Kopf
umschloß, verzerrte ihre Stimme zu einem entsetzlichen
Knistern. »Lebe! Lebe! Euer Vater … Ah! Aschure … Ah!
Euer Vater!«
»Oh ihr Götter!« schrie die Priesterin und bedeckte ihr
Gesicht mit den Händen. »Oh ihr Götter!«
»So starb Niah«, flüsterte Aschure, und ihr Blick war
jetzt still und ruhig. »So starb meine Mutter. Und deshalb
bin ich hier und suche Antwort auf die Frage, warum sie
starb. Redet!«
Endlich ließ die Erste die Hände sinken und drehte ihr
von Gram gezeichnetes Gesicht der jungen Frau zu, die
ihr gegenübersaß. »Sie sagte, sie müsse gehen. Aber ich
weiß nicht, wohin sie ihre Schritte lenkte. Ich hatte keine
Ahnung, warum sie …« Ihre Stimme erstarb, und sie
benötigte eine Weile, um ihre Fassung wiederzuerlangen.
»Sie hat nie eine Nachricht geschickt, und ich habe mich
oft gefragt, was aus ihr geworden sein mochte. Wie es ihr
ging, wie das Kind beschaffen war, das sie gebar, ob sie
sich glücklich fühlte.«
»Aber Ihr wußtet schon, daß sie schwanger war, als sie
Euch verließ.«
»Ja.« Die Hand der Ersten schloß sich um den Griff
einer Schublade im Schreibpult, und ihr Gesicht wirkte
im Licht der Lampe grau. »Aschure …« Sie holte tief
Luft und öffnete unvermittelt die Schublade, um ein
versiegeltes Pergament zum Vorschein zu bringen. »Eure
Mutter hat Euch dies hinterlassen. Lest es. Ich werde
draußen warten. Ruft mich, wenn Ihr soweit seid.«
    Lange Zeit saß Aschure da und schaute das zusammengefaltete Pergament an, das vor ihr lag. Als sie es schließlich an sich nahm, zitterten ihre Hände so heftig, daß sie
sie fest anspannen mußte, damit die Muskeln ihr
überhaupt gehorchten.
    Damit hatte sie nicht gerechnet. Nein, gewiß

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