Das Vermachtnis der Sternenbraut - Unter dem Weltenbaum 05
Euch beiliegt, die Macht der Sterne durch den
Körper strömen lassen kann? Mir ist bewußt, daß er
mich zuweilen gefährlich nahe an den Rand des Todes
brachte, während er seine Zauber durch mich fließen und
Euch in mir entstehen ließ. Aber ich vertraute ihm und
ließ ihn tun, was immer er wollte. Ich lehnte mich in
seine Flügel zurück, die er um mich faltete, ergab mich
ihm voll Verzücken und vergalt ihm die Freude fünffach.
Ich kenne den Namen Eures Vaters nicht, denn er
nannte ihn nicht, aber ich hege keinen Zweifel daran,
daß er einer der Sternengötter war – vielleicht der
Sonnengott, denn er brannte mit wilder und berauschender Macht, und seine blasse Haut fühlte sich unter
meinen Fingern glühend an.
Ich fühle mich gesegnet, weil er mich auserwählte.
Sogar als er sich von mir zurückzog, konnte ich spüren, wie das Feuer, das er in meinem Leib entfacht hatte,
zu neuem Leben erwachte. Ich schrie, und er lachte sanft,
aber ich sah auch, wie sich seine eigenen Augen weiteten
und die Erkenntnis über das Wunder widerspiegelten, die
die meinen erfüllte.
Lange Zeit lagen wir nur still da, das Gewicht seines
Körpers schwer auf dem meinen, und beide starrten wir
in die Tiefen der Augen des anderen, während wir
spürten, wie Ihr in meinem Leib zum Leben erwachtet.
Sogar jetzt, da ich diese Worte schreibe, kann ich das
Feuer und die Magie spüren, die aufloderten, als Ihr in
mir entstandet. Meine verzauberte, geheiligte Tochter –
seid all das, was Ihr zu werden versprecht.
Nach langer Zeit sprach Euer Vater.
Er gebot mir, Ihr solltet weit im Nordosten in dem
Dorf Smyrdon geboren werden. Dort solltet Ihr aufwachsen und schließlich dem Sternenmann aus der Prophezeiung des Zerstörers begegnen – Eurem Vater zufolge
ist er jetzt ein kleines Kind, das gerade laufen lernt. Ihr
sollt die Achse sein, um die sich sein ganzes Leben dreht.
Euer Vater meinte, Euer frühes Leben würden Schmerz
und Unglück beherrschen – und ich weinte, als er diese
Worte aussprach, aber dann wischte er meine Tränen
weg und sagte, Ihr würdet durch die Schatten ins Licht
wandern und das Glück finden, das ich opfern muß.
Für einen Gott ist Euer Vater sanft.
Bevor er ging, liebte er mich noch einmal – und das
tat er für mich allein, als bescheidenen Dank für die
Tochter, die ich ihm gebären werde.
Ich weiß, daß mich in Smyrdon der Tod erwartet, und
ich weiß auch, daß der Mann, den Euer Vater mir
schickt, damit ich ihm gefalle und er mich heiratet, auch
mein Mörder sein wird. Ich weiß, daß meine Tage von
dem Moment an gezählt sein werden, da ich Euch zur
Welt gebracht habe. Was Euer Vater von mir verlangt,
kommt mich hart an, denn wie soll es mir gelingen, mich
diesem Pflughüter zu unterwerfen, da ich doch weiß, daß
ich durch dessen Hand sterben werde? Wie soll ich ein
unbefangenes Lächeln auf mein Gesicht zwingen, wie soll
ich es schaffen, daß mein Körper willig ist? Wie kann ich
mich irgendeinem Mann hingeben, nachdem ich den Gott
kennengelernt habe, der Euer Vater ist? Wie kann ich
mich in ein Leben fügen, welches von der verhaßten
Bruderschaft des Seneschalls bestimmt wird, da ich doch
die Erste Priesterin des Sternenordens gewesen bin?
Euer Vater erkannte meine Zweifel und sah meinen
zukünftigen Schmerz, und er tröstete mich und versprach,
ich würde eines Tages wiedergeboren werden und für
alle Ewigkeit seine Geliebte sein. Er sagte, er sei
gestorben und doch wieder ins Leben zurückgekehrt, und
ich würde einen ähnlichen Pfad einschlagen.
Euer Vater sagte, er liebe mich.
Vielleicht war das eine Lüge, aber ich beschloß, ihm
zu glauben. Alles andere hätte mich in tiefste Verzweiflung gestürzt. Sein Versprechen und Euer Leben werden
mich in meinem Tod und darüber hinweg in meine
nächste Existenz geleiten.
Ich hoffe, daß der Pflughüter mir genug Zeit mit Euch
läßt, damit Ihr Euch später daran erinnern könnt, wie
sehr Eure Mutter Euch liebte.
Wisset, daß ich Euch liebe, auch über den Tod hinaus
und bis in die Ewigkeit, die Euer Vater mir versprach.
Niah.
Nachdem Aschure die Zeilen bis zu Ende gelesen hatte,
konnte sie durch den Tränenschleier vor ihren Augen
nichts mehr sehen und zitterte so stark, daß ihr der Brief
aus den Händen glitt.
»Seid verflucht!« schrie sie. »Seid verflucht, Wolfstern, der Ihr Niah so schmählich belogen habt!« die
junge Frau legte den Kopf auf die Arme und weinte
hemmungslos.
Nach langer, langer
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