Das Vermaechtnis
er allein auf der Straße ist. Burgon wird so lange Wache stehen, dass keine Langfinger ihrer Hände Arbeit stehlen.“
Schweigend nimmt Elieanor-Adda-Guppi eine Decke vom Wagen. Gemeinsam legen sie sie über die Ware.
Tanobakt will Elieanor-Adda-Guppis Gedanken auf ein anderes Thema lenken:
„Bist du durch die Stadt gekommen? Hast du etwas von dem Treiben des Neujahrsfestes sehen können? Hast du mitbekommen, ob es irgendwelche besonderen Ereignisse gab oder ob alles verlief wie jedes Jahr im Nissannu , dem ersten Monat des neuen Jahres?“
„Nein, ich bin nicht durch die Stadt gegangen, ich habe die Masse und den Trubel gemieden. Ich wollte für mich sein und mich sammeln nach diesem Unglück. Ich finde meine Ablenkung in der Ruhe.
Aber so, wie ich bereits vor Mittag hörte, war der Verlauf bisher sehr erfolgreich. Das Wichtigste war wie immer, dass Nebukadnezar Marduks Hände ergriff. Alles war, wie bisher jedes Jahr. Nur einer Träne mehr soll in diesem Jahr seine königlichen Wangen heruntergelaufen sein. Ein sehr gutes Omen, so wird es gedeutet.
Er hatte, wie das Ritual es vorschreibt, Nabu , Marduks Sohn und Gott der Schreibkunst und des Wissens, aus dem Tempel von Borsippa geholt und der Priesterschaft in Babylon übergeben. Dort übergab Marduk seinem Sohn die Bestimmungen des Landes für das neue Jahr, die wie immer in den Schicksalstafeln niedergeschrieben wurden.
Auch die Tage zuvor verliefen vorschriftsmäßig: Die vielen Reinigungen, Waschungen, Gebete, Gesänge, Musik, Opfergaben für Marduk und seine Gemahlin Sarparitu .
Der ‚Sündenbock’ wurde in den Euphrat geworfen, nachdem die Reinigungspriester den Tempel Äsagila mit dem Blut dieses Opferschafes gereinigt hatten. Diese Priester sind gleich danach aus der Stadt in die Steppe gegangen, bis ihre eigene Verunreinigung durch diese Reinigung gereinigt ist.“
„Wichtig ist, dass sie genau wissen, was sie tun, wir müssen es nicht immer alles verstehen“, schmunzelt Tanobakt .
„Ja, du hast Recht, auch wenn ich lange den Dienst der höchsten Priesterin erfüllt habe, so stand mein Dienst doch in erheblichem Unterschied zu den jetzigen Bräuchen“, gibt Elieanor-Adda-Guppi schwach lächelnd zurück. Tanobakt ermutigt sie, weiterzuerzählen, was sie von den Neujahrsfeierlichkeiten mitbekommen hat.
„ Nebukadnezar legte dann seine Waffen, seine Krone und das Zepter vor dem Betreten von Marduks Tempel ab, um so zur rituellen Bestrafung vorzutreten. Als er vom Oberpriester an den Ohren gezogen und sogleich danach sehr heftig geohrfeigt wurde, da soll nicht nur eine Träne, was für unser aller Wohl vollkommen ausreichend gewesen wäre, nein, gleich zwei Tränen hatte er dem Gotte geopfert und damit auch uns allen Babyloniern ! Er beteuerte, dass er das ganze Jahr über ohne Sünde gehandelt hatte und die Orakel prophezeiten eine gute Zukunft für Babylon .
Als er dann die Hände von Marduk ergriffen hatte, sollen noch weitere Tränen geflossen sein, doch hierüber spricht jeder etwas anderes. Die Priester deuteten es als seine tiefe Verbundenheit zu unserem Herrn Marduk .
Das war in jedem Fall sehr ungewöhnlich, ich sehe in den Tränen eher die Tränen der Sorge, doch das würde das Volk nur beunruhigen. Danach gab es keine Tränen mehr, sondern nur noch einen fröhlichen König, als er wieder mit all seinen Symbolen der Macht vor dem Volk stand. In der Nacht zuvor wurde nicht geschlafen, denn dies war der glorreiche Vortrag mit Gesang, Musik und verkleideten Darstellungen des, wie du weißt, Enûma elîsch . Die Darstellungen sowie ihre Gewänder und Verkleidungen sollen besonders gewesen sein. Die Dämonen waren so leibhaftig, dass kleine Kinder weinten und sich hinter dem Gewand der Eltern versteckten.
Die Größeren hielten tapfer aus, denn sie wollten nicht mehr als kleines Kind bezeichnet werden. Dies zählte wie jedes Jahr in dem Alter als gute Mutprobe.
Die ersten sechs Tage wurden wie gehabt hauptsächlich der Entstehung der Erde und des dazugehörigen Himmels mitsamt seiner Planeten und Gottheiten gewidmet. Dann endlich trafen die vielen Götter unter großem Jubel der Bevölkerung in Babylon ein. Der Berg der dargebrachten Geschenke aus Gold und Silber, Geschmeiden, Edelsteinen, Teppichen und allerlei Wertvollem soll in diesem Jahr noch höher als im letzten Jahr gewesen sein. Viele haben es mit eigenen Augen gesehen, doch ihre Beschreibungen sind sehr unterschiedlich und übertreffen sich gegenseitig.“
„War es
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