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Das Vermaechtnis

Das Vermaechtnis

Titel: Das Vermaechtnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Angela Scherer-Kern
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musste.
    Allein wegen des Lernens der vielen Ritualtexte, Beschwörungstexte, Listen der Omendeutungen, Gebete an die Götter. Es ist allgemein nur für Frauen nicht üblich, denn sie arbeiten nicht oft als Schreiberin oder Verwalterin. Händlerinnen wiederum gibt es schon einige mehr. Oftmals findet der Unterricht innerhalb der Familien statt, sodass es die Mädchen eher am Rande mitbekommen, auch wenn sie nicht direkt unterrichtet werden, sondern ihre Brüder.
    Der junge Schreiber lächelt bescheiden und mit einem charmanten Stolz erzählt er:
    „Ja, ich habe die ersten drei Stufen hinter mir. Mein Vater hatte mir schon früh Ton und Griffel in die Hand gedrückt und gemeint, ‚von der Kindheit bis zum Manne’ würde nun meine Ausbildung andauern. Es machte mir Spaß, und das tut es noch immer. Ich habe bereits viele Listen angelegt, oft auch zweisprachig, auf sumerisch und auf babylonisch . Doch am Interessantesten fand ich die, die sich auf die Beziehung zwischen König und Tempel bezogen.
    So arbeitete ich eine Weile in der Verwaltung des Palastes, schrieb Kaufverträge, die mit den Siegelzylindern beider Vertragsteilnehmer abschließend unterzeichnet wurden. Da es hier immer wieder zu Streitigkeiten kam, hatten wir immer Ohrenzeugen, die wir hinter den zugeklappten Teppichen mithören ließen. Das war sehr spannend.
    Einmal musste einer, der gleich am folgenden Tag vertragsbrüchig wurde, zwei Liter auf den Boden geschüttete Senfkörner mit der Zungenspitze auftupfen. Eine Strafe, die ihm die Götter geschickt hatten, und die schon allgemein bekannt war als Strafe für derartiges Vergehen.
    Eine Zeit hatte ich auch damit verbracht, im Haushalt des Tempels genaue Listen über die Einnahmen und Ausgaben zu führen. Da gab es die Listen für die Zahlungen in Silber, andere für Zahlungen in Gerste und wiederum andere für Nahrungsmittel, Stoffe, Wolle.
    Jetzt bin ich im Außenbereich tätig. Die Standorte wechseln wir täglich. Es gibt scharfe Kontrollen und harte Strafen für falsche Eintragungen. Noch schlimmer sind Eintragungen, die extra verändert werden, weil jemand einem Schreiber Silber zugesteckt hat. Das sieht dann sehr übel aus für diesen armen Kerl, doch es ist an jedem selbst, ehrlich vor den Göttern zu arbeiten.
    Es lohnt einfach nicht, die Gesetze und die Götter zu hintergehen – es bleibt nie lange geheim und einem Gott schon gar nicht.
    Ich werde noch zwei bis drei Jahre meist draußen arbeiten, denn ich will einmal als Beschwörer arbeiten, und, so wie du, geschätzte Elieanor-Adda-Guppi , mögen Marduk und Sin dein Leben verlängern, als Priester zu einem Gott gehören und der Abwendung von Unheil und dem Günstigstimmen des Gottes und der Götter dienen.“
    „Da bist du auf dem besten Weg, denn hier kannst du den ganzen Tag die Zeichen beobachten, sie festhalten, das, was passiert aufschreiben, um dann später zu sehen, welche Zusammenhänge es gibt“, sagt sie freundlich.
    „Genau. Aus den Zusammenhängen lerne ich ständig, neue Zeichen zu lesen. Es war schon so manches Mal, dass ich Zeichen sah, die später tatsächlich eingetroffen sind. Ich habe schon Unheil abwenden können, wenn ich jemanden auf ein Zeichen aufmerksam gemacht habe“, sagt er stolz.
    „Das ist sehr schön, doch auch hier sei sehr vorsichtig, denn es ist nicht immer von den Göttern gewünscht, dass wir in deren Bestimmungen für andere Leute eingreifen.
    Frage zuvor stets bei den Göttern an und erbitte Zeichen von ihnen, ob du entsprechend eingreifen darfst. Wir wollen nicht, dass ein Zeichen dann auf dich umgeleitet wird oder gar ein Schadenszauber auf dich fällt, der für einen anderen bestimmt war. Man hat zwar nicht immer Öl und Wasser mit oder gar ein Schaf für eine frische Leber und Innereien, aber es ist auch ohne sie möglich, nach Zeichen zu schauen“, erklärt sie ihm fürsorglich und vorsorglich.
    „Das versuche ich schon ganz aufmerksam zu beobachten. Bis jetzt habe ich wohl alles richtig gemacht. Einmal nur hatte ich am Abend schon Probleme mit der Atmung und bekam durch die Nase keine Luft. Ich reinigte sie mit salzigem Wasser, doch es verschwand auch nicht am nächsten Tag. Ich hatte eindeutig einen Dämon eingefangen, den ich dann nach dem dritten Tag wieder verabschieden konnte. Ich betete unablässig, denn ich wusste auch nicht recht, was genau ich falsch gemacht hatte. Ich zählte alle möglichen Vergehen auf, die ich vielleicht gemacht hatte, zunächst an diesem Tag, dann in der

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