Das Vermaechtnis
unglaublich!“
„Ich fragte mich, weshalb sie das Tier nicht einfach getötet haben?“, fragte der Schreiber erstaunt.
„So einfach sind die Lösungen manches Mal nicht, denn ein Orakelpriester musste, nachdem zweimal in Öl mit Wasser versucht wurde zu lesen, noch ein drittes Mal aus der Leber eines schnell herbeigeschafften Schafes lesen. Dieser bestätigte tatsächlich das Ergebnis der beiden anderen, dass das Tier auf keinen Fall sterben durfte, denn das wäre zu einem großen Problem für den Fortgang des Festes geworden. Dazu kam noch die Bedingung, dass der Fuchs über Wasser die Stadt verlassen sollte. Da kam nur die Brücke über den Euphrat in Frage.
Im Prinzip kein allzu großes Problem, doch davon wussten die Bewohner nichts – und ein frei laufender Fuchs wäre ganz sicher nicht lebend aus der Stadt gekommen. Das hätte, wie gesagt, ein unheilvolles Ende genommen. Also musste der Fuchs mit Soldaten und Wachen mit allergrößter Vorsicht getrieben werden.“
„Welch ein Glück, dass der Fuchs bis dahin nicht zu Schaden gekommen ist; die Person, die ihn getötet hätte, wäre wahrscheinlich sofort getötet worden. Wie grausam, das möchte ich mir jetzt nicht vorstellen, und dazu noch die ganze Familie als Opfer, um den Zorn der Götter zu besänftigen. Oh, wenn ich mir vorstelle, was das hätte für Folgen haben können!“
„Rufe nicht den Dämon, von dem du gerade redest! Wir wollen lieber von deinen wichtigen Listen sprechen. Das ist doch erfreulicher.
Wenn du merkst, dass etwas von besonderer Wichtigkeit ist, schreibst du es dazu und bewertest es danach auch?“
„Nein, ich schreibe auf, so wie es war, so wie es ist, ohne eigene Meinung. Am Abend – ich selbst schreibe gewöhnlich nur tagsüber – gebe ich meine Tafeln in der Schreiberhalle des Tempels ab, wo ich dann auf die anderen Stadtschreiber treffe. Dort berichtet jeder kurz über die besonderen Geschehnisse. So bekomme ich ganz aktuell mit, welche wichtigen Vorkommnisse am Tage waren. Das ist hochinteressant!“
„Ihr seid viele Schreiber in der Stadt!“
„Ja, wir sitzen an den Straßen, wo viele Leute zusammenkommen. In den Wohngegenden sitzen wir nicht, da gehen wir meist die ganze Zeit durch die Straßen. An allen Toren sitzen natürlich Schreiber, das sind die wichtigsten Stellen in der Stadt. Ich habe sogar die Erlaubnis, wenn es jetzt sehr eng wäre auf dem Markt, auf die Mauer zu gehen, um von oben das Geschehen zu beobachten und aufzuschreiben. Doch hier im Schatten arbeitet es sich natürlich sehr viel angenehmer.
Die meisten Schreiber arbeiten als Palast- und Tempelschreiber. Die haben auch sehr viel zu schreiben: Die Menschen, die Tiere, die ein- und ausgehen, die hohen Besuche im Palast, Feste, was wird gegessen, getrunken und was hat alles gekostet? Was kosten die Menschen, die dort arbeiten oder ein Sklave, der gekauft wurde? Im Palast und im Tempel des Marduk haben sie besonders in der Verwaltung viel zu tun. Alle Einnahmen und Ausgaben laufen über ihre Tontafeln, alle Käufe und Verkäufe, alle Ausgaben von kostbarem Rohmaterial und entsprechend die Eingänge der fertigen Produkte, vor allem der Metallhandwerker, der Gold-, Bronze- und Eisenschmiede, aber auch Töpfer, Weber, Walker, Bleicher, Färber, Wäscher und andere wie Bäcker und Bierbrauer. Alle Vermietungen und Verpachtungen von Grundstücken, von Vieh, von Ackerland, von Baumgärten, von Arbeitern, von Sklaven. Da alles ein unvorstellbarer Aufwand für Palast und Tempel wäre, sind sie wohl sehr dankbar, wenn sich Kaufleute anbieten, die die ganze Abwicklung übernehmen. Wie zum Beispiel das Handelshaus von Ushlarans Vater, der seinen Stand gleich neben meinem Sitzplatz hat.“
„Da könntest du dich zum Tempelverwalter hocharbeiten oder – du könntest doch als Schreiber auch Arzt werden?“, fragt ihn Elieanor-Adda-Guppi.
„Nein, mein Vater ist Arzt. Ich habe von ihm schon einiges mitbekommen, doch bei jedem Eingriff in den Körper eines anderen spielt er mit seinem eigenen Leben. Das möchte ich auf keinen Fall!“, wehrt der junge Mann energisch ab.
„Als Beschwörungspriester oder Orakelpriester spielst du auch mit deinem Leben, wenn deine Omen oder Beschwörungen nicht die richtigen sind“, wendet Elieanor-Adda-Guppi ein.
„Das ist wohl wahr, doch ich habe noch die Wahl und arbeite bei Behandlungen lieber mit einem Arzt zusammen und nicht umgekehrt. Ein Arzt, der zusammen mit einem Beschwörer arbeitet, hat gute Chancen, den
Weitere Kostenlose Bücher