Das Vermaechtnis
wenn er Urteile spricht. Schadenszauber, pfui, das gehört hart bestraft. Nebukadnezar hatte sogar aus den ehemals assyrischen Gebieten weit im Westen Beschwörungspriester holen lassen, um deren Schaden abzuwenden. Denn die sind in Sachen Schadenszauber sehr bewandert!“
„Ja, ich weiß, ich lebte eine Zeit mit solchen Priestern zusammen. Sie haben ein sehr altes Wissen, aber ein sehr unschönes. Es geht um das Binden und Lösen. Lösen ist zum Guten, und Binden ist zum Schaden. Alles kann auf irgendeine Art mittels Beschwörung gebunden werden an irgendetwas, das sofort oder ganz langsam Schaden zufügt. Egal wo. Wenn Wasser versiegt, sind Flüsse und Quellen gebunden, bei Dürre und im Winter ist das Wachstum der Pflanzen gebunden, unfruchtbare Tiere sind gebunden, bei Krankheit ist der Mensch gebunden. So, wie in diesem Fall, erflehen Beschwörungspriester in einem Ritual die Hilfe von Ischtar , die zu ihrer Schwester Ereschkigal in die Unterwelt geht, um mit der Einwilligung der Mächte der Unterwelt diese Bindung oder Behexung von Mensch, Tier, Pflanze, Wasser oder was auch immer, zu lösen.
Ursache des Gebundenseins ist Verunreinigung im weitesten Sinne. Es handelt sich um von außen eingedrungene Kräfte, die die himmlische Ordnung und auch die Ordnung der Menschen untereinander empfindlich stören können. Durch entsprechende Gegenkräfte können sie wieder überwunden werden. Gebundensein bedeutet, in der Gewalt der unterirdischen Gottheiten zu sein. Nur durch sie kann das Gebundensein gelöst werden.“
„Schadenszauber ist doch schon seit langer Zeit fast überall unter Todesstrafe verboten. Dennoch scheint es mir mächtiger als je zuvor“, bemerkt Jaskula bitter.
„Besser ist es, wenn wir nun langsam wieder von etwas anderem reden. Zu lange schon haften wir an diesem unschönen Thema. Sonst machen wir den Schadenszauber zu sehr aufmerksam, und er wird bei uns etwas finden, das gebunden werden kann.
Für unseren König sind das Beschwörungswissen und das Wissen um Omen und Orakel von allerhöchstem Wert, denn es betrifft unsere Stadt und unser Land.
Der König handelt stets im Einvernehmen der Götter. Das ist sehr wichtig, denn ohne den Schutz der Götter braucht er erst gar keinen Feldzug zu starten. Alle wären verängstigt wie die Wüstenhasen, wenn sie wüssten, dass die Götter ein schlechtes oder gar kein Omen geschickt haben. Auch die Route erfragt er, das ist sehr langwierig und kompliziert. Ist die Route festgelegt, folgen die magischen Praktiken, die die Götter des feindlichen Landes ins eigene Land locken sollen. Die Götterstatuen ziehen dann nach gewonnener Schlacht mit dem Sieges-König zurück in dessen eigene Kultstätten. Denn ohne ihre Götter ist ein Land hilflos allen unheilvollen Mächten ausgesetzt. Das haben wir beide, wie wir voneinander hörten, schon erfahren müssen.“
Elieanor-Adda-Guppi macht plötzlich ein erschrockenes Gesicht, das trotz ihrer dunklen Hautfarbe fast bleich wirkt. Mit einer unauffälligen Bewegung deutet sie in Richtung Chois Stand. Jaskula blickt sich um und ist ebenso entsetzt. Da steht Rosuran-Amel-Marduk leibhaftig. Einen Schritt hinter ihm lauern zwei weitere Priester mit schmalen eingezogenen Schultern. Hatten sie ihn mit ihrem Reden herbeigerufen?
„Das bedeutet nichts Gutes. Ich verstehe es nicht – es waren doch vorhin noch zwei Priester an seinem Stand, die ihm einen guten Auftrag übermittelt hatten? Für Äsagila soll er Siegelrollen aus Lapislazuli als Siegel der Götter Marduk und Adad herstellen. Oh, was ist da nur los? Es ist nicht gut!“
Unentschlossen und sehr angespannt stehen die beiden Frauen vor Elieanor-Adda-Guppis Stand, bereit zum Sprung. Die Abneigung gegen den höchsten Priester des Marduk sitzt tiefer als die Angst vor ihm.
In diesem Moment greift Rosuran-Amel-Marduk wahllos eine Statue aus Lapislazuli holt aus und schmeißt sie mit einem lauten Gebrüll auf den Tisch, ergreift gleich die nächste, wirft, und der Tisch zerbricht unter lautem Bersten. Die kostbaren Götterstatuen – aus Lapislazuli, Onyx, Jaspis und aus edlen Hölzern rutschen und poltern durcheinander mitsamt den schweren besiegelten Gewichtssteinen.
„Du wagst es“, schreit er so laut, dass seine Stimme wegkippt, und er wippt, Zeichen seiner höchsten Anspannung und zugleich höchsten Bedrohung für die anderen.
„Du wagst es, den großen Herrn Marduk zu beleidigen? Seine Strafe wird dich treffen, sein Zorn wird dich
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