Das Vermaechtnis
mehr als fünf Olympiaden vergangen, als ich einen Freund, der mich darum gebeten hatte, nach Delphi zum Orakel begleitete. Ihn plagten Träume in denen er immer wieder ermordet wurde. Obwohl er es jedes Mal verhindern hätte können, ließ er es immer wieder geschehen. Wer es war, konnte er nicht sehen. Die Person stand wie in einem dichtem Nebel vor ihm. Nun, er wollte Klarheit, denn es belastete ihn so, dass es bereits Einfluss auf seine sportlichen Leistungen nahm.
So gingen wir nach Delphi , zu dem Berg Parnass, hinauf zum Tempel des Apollon . Wir trafen zur rechten Zeit dort ein. Es war der siebte Tag des ersten Sommermonats. Priester empfingen uns. Sie prüften unsere für diesen Anlass mitgebrachte Ziege. Sie zuckte, als sie mit eiskaltem Wasser besprengt wurde. Also wurde sie auf Apollons Altar geopfert und wir wurden zur Pythia , der Orakelpriesterin geführt. Sie saß schon auf dem dreifüßigen Stuhl über der Erdspalte zur Erdmutter Gaia , eingehüllt in Dämpfe, die sie mit Apollon verband. Ihr Anblick ließ mich erschauern, nie werde ich diesen vergessen!
(Gimraios starrt auf den Sand vor seinen Füßen.)
Choi-Hippokrates Alle, die einmal dort gewesen waren, vergessen es nie wieder. Sie redet in vielen Bildern, deren Deutung oft mehr als schwierig ist. Meist ist man verblendet durch die eigene Hoffnung oder aber auch durch die eigene Angst. Wie ging es weiter?
Gimraios Er stellte seine Frage, die wir wohl hundertmal überdacht hatten in der Hoffnung auf eine klare Antwort. Doch sie sagte nur oder der Gott sagte, ‚Du bist es nicht, um den es geht, doch hierher geführt hast du ihn durch deine Träume. Führe ein Leben ohne Ausschweifungen, und viele Kindeskinder wirst du dein nennen können. Doch du…’ , sie deutete plötzlich mit ihrem langen Zeigefinger direkt auf mich.
Ich sah in ihre Augen, die mich wie aus einer anderen Welt anstarrten. Ich wollte weglaufen doch ich stand wie gelähmt und ohne zu atmen. ‚Von der Tochter Hand wirst du sterben, in Scherben, und nichts wird man finden, außer Scherben’ , das sagte sie zu mir.
Dann sank sie in sich zusammen. Zwei Priester kamen schnell, um sie zu stützen und fortzuführen. Ich starrte ihr hinterher. Mein Freund starrte ihr hinterher. Wir beide konnten kaum glauben, was eben geschehen war. Ich war mitgekommen, um ihm Beistand zu leisten, konnte ich doch nicht ahnen, dass ich auf unserem Rückweg den Beistand meines Freundes brauchte!
Meine Frau Aleyna trug zu dieser Zeit unser erstes Kind in ihrem Leib. Es war tot bei seiner Geburt. Es war ein Mädchen. Erleichterung und tiefe Traurigkeit, sie zerreißen mich seither. Und Angst. Und ich glaube, wegen dieser Angst und des vielen Nachsinnens wegen habe ich die Lust verloren. Doch ab und an sind wir zusammen, denn ich liebe sie wirklich, meine Frau, die zu einer Schönheit herangewachsen ist, mit welcher man sich gerne schmückt, hier in Athen .
Eine zweite Tochter verlor sie wieder, große Erleichterung, tiefe Trauer. Dann, endlich, ein Sohn. Ich bete jeden Tag zu Apollon , er möge diese harten Worte von mir abwenden und mir ein Zeichen geben, was ich dafür tun kann. Mein ganzes Vermögen opfere ich ihm oder den Göttern, die es fordern, dafür, dass ich frei komme von den Worten des Orakels.
Seit dieser Zeit versinke ich oft ins Grübeln. Bei Apollon , die Zeit zerrinnt wie Butter in der Sonne Attikas .
Choi-Hippokrates Das ist fürwahr ein hartes Los, das dich traf, doch ist es schwer, seinem Los zu entrinnen. So ist es ein Glück, dass du einen Sohn geschenkt bekamst, der gesund ist. Deine Familie wird trotz dieses Omens fortbestehen. In welcher Form diese Worte sich bewahrheiten werden, das wissen allein die Götter. Darum löse dich von der Schwermut, der dich zu begleiten scheint. Genieße das Leben. Es gibt Möglichkeiten, Lust zu haben, ohne dass man Sorge haben muss, dass ein Kind gezeugt wird. Ich habe allerdings noch nie gehört, dass das Philosophieren den Mann von seiner Lust abhielte. Bei manchen ist sogar das Gegenteil der Fall.
Es ist die Schwermut, die dir zu schaffen macht. Nicht das Denken an sich, sondern die Gedanken selbst nehmen dir den Spaß zu leben. Denke nicht an den Tod oder wie du diesen verhindern kannst. Du wirst ihn nicht verhindern können, aber durch gewisse Vorsichtsmaßnahmen kannst du ihn vielleicht etwas nach hinten verschieben. So manches Omen hat sich dann mit der Zeit doch noch aufgelöst.
Ist es dir ein echtes Leid oder eher Freud zu denken
Weitere Kostenlose Bücher