Das Vermaechtnis
die meiste Zeit über war, saß ich auf einer der Bänke im Schatten eines Baumes und ruhte, las die Inschriften von den unzähligen Heilungen oder ich spazierte durch die Anlage und den angrenzenden Hain. Ich hatte einen Raum im Gästehaus. Es sollen insgesamt 160 dort sein für Pilger und Heilungssuchende.
Alles ist dort sehr friedlich. Eigene, fast sonderbare Regeln gab es dort: es durfte nicht gestorben werden und auch nicht geboren. Auch das Opferfleisch durfte nicht, wie sonst üblich, verzehrt werden.
Ich betete also, opferte, reinigte mich und ruhte. Ich weiß nicht wann, nach einigen Tagen war ich bereit für das Abaton , das Unbetretbare, in das ansonsten nur Priester Zutritt haben. Drei Tage hatte ich gefastet, meine Därme gereinigt. Dann kam der Tag. Ich reinigte mich also wieder, badete, kleidete mich in ein weißes Gewand, wurde zur Quelle geführt, trank das köstliche göttliche Wasser und durfte mich nun im heiligen Schlafsaal inmitten des Abaton zum Schlaf niederlegen.
Ein eigentümlicher, aber angenehmer Duft empfing mich dort und hüllte mich in einen Zustand, den ich nicht beschreiben kann. Mir war, als träumte ich und als sei ich in einer anderen Welt.
Dann erschien der Gott. Er blickte mich an, berührte mich an zwei Stellen, mit der linken Hand an meinem Unterbauch und mit der rechten Hand an meinem Kopf, direkt am Haaransatz. Er schloss für kurze Zeit die Augen. Dann nickte er, nickte mir zu und wandte sich zu der Schlange, die an meinem Fußende wartete. Er sprach mit dieser, was ich nicht verstehen konnte und auch nicht wollte. Ich war ganz im Gefühl der beiden Stellen, die er berührt hatte – sie schienen zu glühen, ohne Schmerz, nur heiß waren sie, heiß wie Feuer. Der Gott ging.
Und die Schlange wand sich um meinen Körper und sprach in einer unglaublich freundlichen liebevollen Stimme. Die ersten Worte verstand ich nicht, sie schienen mich noch weiter wegzutragen. Ich hatte das Gefühl, dass sie mich wiegte, wie eine Mutter ihr Baby in den Armen wiegt. Ich fühlte mich klein und hilflos, doch so beschützt und ohne Furcht, eingehüllt in Liebe. Ich gab mich diesem Gefühl hin. Ich lauschte ihrem Gesang in einer fremden Sprache. Nach einer Zeit, die mir endlos erschien, denn ich hatte jegliches Gefühl für Zeit verloren, legte sie mich zurück und sprach, auf dass ich sie verstand:
‚Du bist auf dem Weg der Heilung. Faste noch weitere zwei Tage, dann beginne wieder zu essen. Iss nichts Saures und auch nichts Salziges. Von Gewürzen halte dich fern. Iss Getreide in Wasser gekocht, gib etwas Honig dazu und Öl; kein Fleisch, viel Gemüse, doch keine Tomaten. Nach jedem Essen iss eine getrocknete Feige. Halte dieses Essen zehn Tage.
Ein Priester zeigt dir drei Übungen, die du jeden Morgen, Mittag und Abend machen wirst, jeweils zehnmal. Am zehnten Tag trinke wieder zehn Schlücke Wasser aus der heiligen Quelle. Dazwischen trinke Tee, abwechselnd Fenchel und Kamille und natürlich reichlich Wasser.
Jeden zweiten Tag nimm ein warmes Bad.
Jeden Morgen lass dir einen Brei auf die Verhärtungen an deinem Bauch aufstreichen, bis sie vergangen sind oder sich nach außen auflösen. Die ersten vier Tage bewege dich daher nicht und ruhe. Danach ganz nach deinem Verlangen. Aber keinen Sport, die nächsten wohl dreißig Tage.
Nach den zehn Tagen bekommst du eine geänderte Diät. Für weitere zehn Tage. Trinke wieder aus der Quelle, bevor du deine Rückreise antrittst.
Bete jeden Morgen und opfere Asklepios und jeden Abend Apollon und an jedem dritten Tage auch Dionysos. Für ihn suche immer einen Stock im Hain, egal welchen Baumes, so lang wie deine Elle und lege ihn vor den Feigenbaum rechts neben dem Théatron und bete dort zum ihm. An Aphrodite richte deine Gedanken vor dem Einschlafen.
Zu Hause halte Maß mit fettem Essen, halte Maß mit dem Genuss von Fleisch, halte Maß mit Rausch. Und halte Maß in deinem Verhalten – nicht die Menge macht alles aus sondern das Wesen.’
Bei Apollon , das alles sprach die Schlange zu mir. Es war viel, doch jedes Wort behielt ich. Ich folgte genau allen Anweisungen, denn ich wusste, das alles würde helfen und nicht eine Sache dürfte ich auslassen. Alles zusammen war mein Heilplan, und ich war dankbar. Die Verhärtungen an meinem Unterbauch verschwanden, nur zweie reiften und brachen auf. Die Haut heilte schnell. Keine Narbe ist zu sehen. Meine Kopfschmerzen, die mich fast um den Verstand gebracht hatten, klangen während meines
Weitere Kostenlose Bücher