Das Vermaechtnis
Aufenthaltes langsam ab. Am vorletzten Tag wurde ich in den Tholos gebracht, von dem ich anfangs schon erzählte, und seitdem sind sie komplett verschwunden. Nicht das kleinste Anzeichen mehr.
Ich versuche seither, Maß zu halten und bin sehr glücklich dabei. Zuvor hatte ich immer das Gefühl, nicht genug zu bekommen, mehr und mehr, egal von was, Essen, Trinken, Lust und noch mehr Lust. Ich verlor an allem schnell die Freude und meinte, das Mehr würde mir die Befriedigung schenken, die ich suchte. Im Gegenteil. Ich genieße jetzt und bin glücklich. Und lasse mir mit allem mehr Zeit.
Gimraios Das klingt wunderbar, doch war es keine Sofortheilung, sondern eine Heilung, an der du selbst große Anteile hattest. Ausführen und anwenden musstest du ja vieles selbst, aus eigenem Antrieb.
Jaskularias Ja, es klingt zwar nach viel, doch es kam mir nicht so vor. Das erste Mal in meinem Leben hatte ich das Gefühl, wirklich etwas für mich zu tun. Etwas richtig Gutes. Ich kam zur Ruhe und konnte die Ruhe aushalten, was ich früher keinen Tag lang konnte. Den anderen Gästen, die dort Heilung suchten, ging es ebenso. Ich besuchte an einem Abend das Théatron . Ein anderes Mal sah ich beim Training der Leichtathleten im Gymnasion zu. Ansonsten war mir nicht nach Trubel. Dort schien sich alles wie von selbst zu regeln. Wie von selbst, damit meine ich, mithilfe der Götter, die sich um mich kümmerten, so wie die Priesterinnen und Priester.
Choi-Hippokrates Am meisten hast du dich um dich selbst gekümmert. Die Seele geht einher mit dem Wirken des Körpers. Es ist, da man sie nicht sieht, oft schwer herauszufinden woher es kommt, wenn der Körper leidet. Die Ursache ist häufig an ganz anderer Stelle. Ganz oft gilt als Ursache das Essen. Das, was wir zu uns nehmen und damit Stoffe in uns ansammeln, die uns wie Gifte erscheinen und sich in solchen Verhärtungen äußern können. Unser Gemüt nimmt ebenso alles in sich auf. Es sammelt sich viel Altes an. Irgendwann äußert sich das Angestaute an einer ganz anderen Stelle.
Ja, so haben sie gehandelt, wie ich stets rate: Wo Eiter ist, eröffne! Das bringt sie zum Erweichen, zum Reifen und zum Zerteilen. Und das meine ich tatsächlich, wie es ist, aber man kann es durchaus auf die Seele anwenden, mit viel Feingefühl. Alles hat aber nur dann eine Chance auf Heilung, wenn der Heilungssuchende es selbst will und konsequent mitarbeitet. Selten geschieht eine Heilung nur, indem man einfach die Oberfläche berührt.
Gimraios War dies nun ein Traum oder sahst du den Gott leibhaftig vor dir stehen und die Schlange und all das, was du beschrieben hast?
Jaskularias Ich kann den Zustand nicht so recht beschreiben. Es muss ein Traum gewesen sein, der wie leibhaftig bei mir wirkte. Auch meinen Abschluss im Tholos kann ich nicht recht beschreiben. Beides schien mir wie im Traum, wie in einer anderen Welt, in die der Gott mir für kurze Zeit erlaubt hatte, einzutreten.
Gimraios Ich werde auch eine Reise zu dem Asklepieion von Epidauros unternehmen, das steht jetzt fest. Mich plagt ein Gallenproblem und ich werde deinen Rat befolgen, zunächst auf Wein zu verzichten. Ein guter Tropfen wird mir zwar sehr fehlen, allein bei unserem Gastmahl heute Nachmittag. Doch als du es sagtest, erinnerte ich mich, dass ich schon nach einem Glas Wein ein überaus saures Gefühl habe, und nach manchem Essen sogar starke Schmerzen. Vielen Dank für deinen Rat, großer Arzt und Freund, Choi-Hippokrates, und vielen Dank für deine Offenheit und deinen Bericht, Jaskularias.
Jaskularias Seit ich dort war, habe ich sogar eine neue Leidenschaft bei mir entdeckt oder wiederentdeckt. Als Kind schon war ich verrückt nach den Pflanzen und ihren Düften. Ich zerrieb jedes Blatt und roch daran. Ich trocknete sie, zerrieb sie und roch daran. Heimlich räucherte ich, so wie ich es in den Tempeln gesehen hatte. Die intensiven Düfte im Abaton brachten diese Erinnerungen wieder an die Oberfläche – und so traf ich dort schon den Entschluss, mich wieder mit den Pflanzen zu beschäftigen. Es ist zwar nicht mein Beruf, aber wer weiß. Ich räuchere täglich. Meine Frau hat die Schimpferei schon aufgegeben und hat sich daran gewöhnt. Ich suche natürlich auch die Düfte aus, die sie mag, und, ihr werdet verstehen, besonders die, die wir beide mögen…
Gimraios Deine Worte erinnern mich an die Worte, die über dem Eingangstor von Delphi eingemeißelt sind ‚ Erkenne dich selbst’ – so steht es dort. Wenn du nun von
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