Das Vermaechtnis
wir allein durch das Anwenden unserer Vernunft schon den Göttern so nahe sind, dass wir der Mythen nicht mehr benötigen, wenn wir uns mit Erkenntnis und Einsicht der Wahrheit nähern.
Jaskularias Die Mythen dienen eher dazu, uns etwas zu erklären und den Menschen zu erziehen. Wenn wir die Erkenntnisse daraus erkennen und anwenden, indem wir sie in unser Leben integrieren, im vernünftigen Denken und Handeln, dann ist der Sinn der Mythen erfüllt, dann haben wir den göttlichen Plan erkannt.
Nun muss ich selbst leider überleiten zu meinem eigenen Plan, denn ich habe auf der Agora noch einiges zu erledigen. Ein anderes Mal werde ich dich nach dem Mythos deines Idealstaates fragen, geschätzter Tanobakt-Platon, bis dahin habe ich Zeit, mir über das heute Gesagte Gedanken zu machen. Zum Abend werden wir uns im Théatron sehen und in der nächsten Woche sicher wieder in der Stoa .
Bei Dionysos , hab Dank für deine Einladung, geschätzter Gimraios, auch wenn wir nicht immer einer Meinung sind, so ist die Unterhaltung allein deshalb umso fruchtbarer, da man seine eigene Sicht der Dinge überprüfen kann. Es bereichert somit das eigene Denken! (steht auf)
Gimraios Als hättet auch ihr euch im Geheimen abgestimmt, euch in unserer Gesprächsrunde abzulösen. Da ist Salana-Gorgias, sei willkommen! Suche dir einen Ort zum Verweilen. Und dir Jaskularias, hab Dank für dein Kommen und deine wertvollen Gedanken. Bis zum Abend.
(Jaskularias geht, Salana-Gorgias, auf einen Gehstock gestützt, kommt.)
3. Akt 2. Szene
Chorführer Dies ist nun eine recht kopflastige Runde: Männer des Wortes, Männer der Sprache, Männer des Geistes, Männer der Gedanken. Doch es hatte mich soeben angenehm überrascht – nicht dass ich falsch verstanden werde, dies bedeutet nicht, dass ich die gewohnte Redeweise Tanobakt-Platons nicht als angenehm empfinde, ganz im Gegenteil – ich bewundere seine Art zu sprechen und zu denken. Gleich den Windungen eines Schneckenhauses kommt er nach langer Rede zum Punkt und vergisst nicht eine einzige Windung, die es zu bedenken gilt. Ich meine nur, dass er seine Art des Redens gewiss an Situationen anzupassen weiß, so an Gimraios, der sich zwar auch zu einem Mann des Denkens entwickelt hat, jedoch in der Gewandtheit der Rede nicht so geübt ist wie dieser erfahrene Philosoph.
Die Ziele der Erziehungen und Ausbildungen zu den Aufgaben, die man in der Gesellschaft übernehmen kann, sind unterschiedlich. Auch die Länge der Zeit, in der man sich mit bestimmten Themen beschäftigt oder beschäftigen kann. Für Tanobakt-Platon sind es Worte und die Kunst, mit den Worten umzugehen, über den Verstand zu erforschen, über die Vernunft zu erkennen, das Gute zu erleuchten, für sich und für die Menschen.
Für Gimraios sind es Münzen, und die Kunst, die Münzen zu vermehren, und natürlich sein Interesse an der Töpferkunst. In der Welt der Gedanken ist er neu. Er sucht seinen Weg durch die Gespräche mit Freunden und großen Lehrern, um Antworten zu finden auf seine Fragen, auf das, was er sucht, aber auch um das, was er sucht erst einmal zu finden.
Nun erscheint ein weiterer Mann der Künste – wir erahnten es schon, denn die alten Hellenen lieben die Künste in jeder Form und sehen in jeder Form die Künste – Salana-Gorgias, ein Meister der Redekunst. Er schafft es, einen Ungeübten in kurzer Zeit zu beeindrucken, ohne dass dieser je etwas von dem Gesprochenen verstanden hat. Auch er kann sich sprachlich jeder Situation anpassen.
Gimraios Sei gegrüßt, Meister der Redekunst , Werkmeister der Überzeugungskunst, Salana-Gorgias. Nimm Platz, etwas zu essen und zu trinken wird dir sofort gereicht.
(Eine Sklavin mit einem blauen Stirnband reicht ihm zwei Teller mit warmem Essen, einen weiteren mit Obst, Käse, Oliven und Brot und schenkt ihm Wein ein.)
Salana-Gorgias Ich grüße dich und danke dir für deine Einladung.
Tanobakt-Platon Sei gegrüßt, alter Freund der Redekunst! Lange schon wollte ich dich treffen, doch scheinst du dich stets an anderen Orten als ich aufzuhalten. Willst du uns heute mit deinen gorgianischen Figuren beeindrucken oder verwirren?
Salana-Gorgias Auch ich freue mich, dich heute hier anzutreffen. Nein, ein Verwirrspiel habe ich nicht im Sinne. In einem Symposium wie diesem heute unter Freunden wäre es auch mir zu anstrengend, auf die allerhöchste Form zu achten – mit Sätzen gleicher Silbenzahl, wenn sie gleichen Inhalts sind, rhythmischen Satzschlüssen und
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