Das Vermaechtnis
nur an diesem einen Ort. Auch unser Wissen kam einst von einem anderen Ort. Nichts hält ewig, alles ist in Bewegung und verändert sich stets. Auch wir wollen auf diese Veränderungen reagieren. Es macht keinen Sinn, alle ihrer Heimat zu entreißen, wenn jetzt unmittelbar noch keine Gefahr droht. Ich kann auch nicht genau sagen, wie sich diese Gefahr äußern wird, aber ich bin sicher, dass unsere Seherin ’Alana uns dies berichten wird, wenn es soweit ist. Bleiben wir alle an diesem Ort, kann schnell alles mit einem Schlag zerstört werden. Wenn es jedoch Menschen gibt, die den Geist unseres Volkes in sich tragen und diese sich verteilen auf der Erde, dann haben wir hier für unsere Nachfahren gesorgt, wenn irgendwann einmal allerhöchste Not sein sollte. Dann sind sie da, um die Seele des Landes zu stärken, damit sie wieder aufleben kann. Doch wollen wir unsere Seele jetzt nicht mit solchen schweren Gedanken belasten. Es ist schön, dass diese Fügung kam, dass dieses Paar als erstes Paar nach einem anderen Ort suchen wird, wo es unseren Geist an Land bringt, um ihn dort zu bewahren.
Alle Menschen hier sind kraftvoll, haben ein gutes und starkes mana , die Lebensenergie. In dem Schutz der Familien werden unsere Kinder erzogen, damit sie eine starke Seele und einen starken Geist erhalten und einen kräftigen Körper. Mit der Kraft der Menschen hier und der Kraft aller Götter sind sie für ein glückliches Leben reich gesegnet. Sie lernen, dass sie ein Teil von allem sind. Dass sie Eins sind mit allem und dass alles Eins ist, da alles miteinander verbunden ist, dass alles Gott ist und Gott alle Götter in allem und in jedem einzelnen.
Die beiden, Pu’kon und Nainoa, wurden besonders reich gesegnet mit mana , der großen inneren Kraft, und sind daher von den Göttern für diese Reise ausgewählt und bestimmt worden. Immer wieder wird es Paare oder kleine Gruppen geben, die von hier aus fortziehen. Dieses Zeichen haben uns die Götter geschickt und es ist eine Ehre, diesem zu folgen.“
„Nun verstehe ich, warum die beiden diese lange und gefährliche Bergwanderung unternehmen sollten. Dies war eine Art Übung auf dem Trockenen, denn auf dem Meer müssen sie lange auf engstem Raume zusammen auskommen. Da müssen sie sich verstehen, ohne lange zu reden, müssen handeln wie ein Schwarm Fische. Auf den Bergen konnten sie lernen, miteinander auszukommen und Hand in Hand zu arbeiten, damit sie dies in der Fremde auch tun können. Wenn sie alles schaffen, dann kommen sie heute Nachmittag mit einem Gefühl des tiefen gegenseitigen Vertrauens. Wunderbar!“ Alēi’na ist angetan von diesen Überlegungen und Handlungsweisen weit über das Jetzt hinaus.
„Ja, so ist es gedacht. Bevor junge Menschen sich füreinander entscheiden, um eine Familie zu planen, gehen sie immer auf eine gemeinsame Bergtour ohne Hilfe des Dorfes, um zu prüfen, ob sie zusammen auch schwierige Phasen bestehen können. Diese Bergwanderung dauert mindestens sieben Tage und sieben Nächte, wo sie mit nichts weiter als sich selbst losgehen. Gefahr durch Tiere brauchen sie nicht zu fürchten, doch sie müssen sich ernähren, essen, trinken. Sie kommen auf ihrem Weg durch unterschiedlichste Landschaften. Vor allem das Klima auf der anderen Seite, wo es sehr feucht ist und es oft regnet, kann schon zu schaffen machen. Außerdem wächst da so manch andere Pflanze und andere Vögel leben dort. Der Vulkan unserer Feuergöttin Pele hat zudem ein eigenes Leben, ein hartes unwegsames Leben. So kommen sie in dieser Zeit an so einigen Prüfungen vorbei. Die Paare, die das geschafft haben sind zwar meist erschöpft, aber kehren strahlend wie die Sonne wieder ins Dorf zurück. Sie werden mit dem Erlebnis dieser gemeinsamen Reise zusammengebunden, enger als ein paar Worte im Liebeszauber es vermögen.
Das für die lange Reise von den Göttern auserwählte Paar musste allerdings eine deutlich härtere Prüfung durchleben, damit sie, wie du genau erkannt hast, für ihre lange Reise das tiefe Vertrauen und gegenseitige Sicherheit erlangen. Ihre Reise sollte eine Mondphase andauern. Pu’kon ist genau die richtige Frau für Nainoa. Sie war, soweit ich mich erinnern kann, das Kind mit dem größten Willen. So früh konnte sie laufen. Alles, was sie wollte, erreichte sie auch, direkt und ohne Umwege und wenn eine Nuss oder Frucht noch so hoch hing. Sie war die erste, die den Baum hinaufklettern konnte. Ihr Wille, ihre Klugheit und ihr scharfer Blick, der dem
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