Das Vermaechtnis
Bekanntschaft aufzufrischen.“
Der Vikar sah mich entgeistert an.
„Aber …“
„Nichts aber!“, mischte sich Nathaira ein. „Ihr hört, was sie sagt.“
„Aber …“ Er schien nicht bereit, mich zurückzulassen.
„Ihr tätet mir einen großen Gefallen, wenn Ihr Payton McLean, dem Sohn des Lairds, sagt, dass ich Lady Nathaira begegnet bin. Richtet ihm bitte aus, dass ich mich sicher nicht lange aufhalten werde und mich sehr freue, ihn, so schnell es geht, wiederzusehen.“
Nathaira lächelte. Sie verstand, dass ich versuchte, mich abzusichern, aber sie schwieg.
Na klar! Wenn die Hexe mich umbringen wollte, könnte sie das ohne Weiteres tun, noch ehe der Vikar überhaupt die Burg erreicht haben würde. Seltsamerweise war ich überzeugt, dass es nicht ihre Absicht war, mich umzubringen.
Der Vikar sah von mir zu Nathaira und zurück, ehe er sich geschlagen gab.
„Na schön. Aber verweilt nicht zu lange – denkt an den Sturm. Ich werde den Stallburschen anweisen, Euch das Pferd nach Eurer Rückkehr abzunehmen, dann müsst Ihr Euch nicht aufhalten und könnt sogleich in die Halle kommen.“
Seine Sorge stand ihm ins Gesicht geschrieben, und wieder schalt ich mich eine Närrin, weil ich so leichtsinnig war, nicht mit ihm zu gehen. Aber ich folgte derselben Stimme, die mich damals am Glenfinnan Monument meine Vorsicht hatte vergessen lassen, wodurch meine Liebe zu Payton erst geweckt wurde.
„Ihr seid zu freundlich“, dankte ich dem Vikar und nickte, woraufhin er schließlich seinen Weg fortsetzte.
Zwischen Nathaira und mir herrschte Schweigen, als wir dem Gottesmann nachsahen. Er wandte sich noch einmal um, ritt aber unbeirrt weiter.
Dichte Wolken verdunkelten den Himmel über Burragh , und in der Ferne zuckten Blitze. Die Temperatur war seit Nathairas Auftauchen deutlich gesunken, und mich fröstelte.
Nur wenige Meter trennten uns.
Sie, eine elegante, dunkle Erscheinung – und ich, optisch eine heruntergekommene Magd. Wir hätten gegensätzlicher nicht sein können. Sie hatte Paytons Bruder ermordet, versucht, mich zu töten, und Payton mit einem Fluch belegt, der ihn hätte qualvoll sterben lassen, wenn ich nicht gewesen wäre. Dennoch hatte ich gesiegt. Ich war am Leben, hatte den Fluch gebrochen und würde in vielen Jahren indirekt für ihren Tod mitverantwortlich sein. Selbst ihren Plan, Payton mit ihrem Fluch zu vernichten, hatte ich vereitelt – oder würde ihn vereiteln … in etlichen Jahren.
Wir waren Feinde – und wir wussten es. Aber wir hätten auch Schwestern sein können, so eng waren unsere Leben miteinander verflochten.
All die Dinge, die geschehen waren und die noch kommen würden, hatten ihren alleinigen Ursprung in ihrem Hass. Nathaira Stuart, Tochter der Hexe Vanora, in einem Akt der Gewalt gezeugt von Grant Stuart, dem früheren Laird, dessen Grausamkeit weithin bekannt war.
Ich war ihr Gegenstück. Die Nachfahrin, die es eigentlich nicht hätte geben dürfen. Ich entstammte der Liebe und war auch bereit, dafür zu sterben.
Liebe und Hass, Gut und Böse.
Wir schwiegen uns noch immer an. Der Dolch in meiner Hand, eine lächerliche Herausforderung und keine Gefahr für Nathaira, denn sie war ebenfalls verflucht. Sie war unsterblich, und ich würde ihr nichts anhaben können, und trotzdem sah ich in ihren Augen etwas, das ich nie für möglich gehalten hätte.
Unsicherheit und … Bewunderung?
Sie bewunderte mich! Es schien, als hielte sie mich für einen würdigen Gegner.
„Warum bist du nicht mit ihm gegangen?“, brach Nathaira unser Schweigen. Es klang so, als hätte sie nichts anderes erwartet – und als würde sie genau dies überraschen.
„Hast du vor, mich umzubringen?“, stellte ich die Gegenfrage, und Nathaira lächelte, steckte aber ihren Sgian dhu zurück in ihren Stiefel.
„Nicht sofort.“
Am Rande meines Bewusstseins fragte ich mich, wohin das unscheinbare, ängstliche Mädchen verschwunden war, das sich vor einem Kuss gefürchtet und ihre Pausen in der Schultoilette verbrachte hatte, um ihren Problemen zu entgehen. Das Mädchen, das ich einst war, gab es nicht mehr. Heute war ich stärker. Und entschlossen!
Ich ließ meinen Dolch ebenfalls zurück in meinen Gürtel gleiten und lenkte mein Pferd näher an ihres.
„Dann bleibt uns ja noch Zeit.“
Ich sah ihr in die Augen und musste schlucken. Nathaira war eine wunderschöne Frau, eine mächtige Hexe, die Schwester eines schottischen Lairds und unsterblich – aber aus ihren Augen sprach
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