Das Vermaechtnis
Liebe bringen. Jetzt!“, verlangte Nathaira, und ihr Dolch drückte hart gegen meine Kehle.
Vielleicht empfand ich nun doch ein wenig Angst. Was zur Hölle meinte sie? Den Anhänger, den Alasdair mir gegeben hatte? Woher wusste sie überhaupt davon?
„Hier! Das schickt dir Alasdair. Und jetzt lass mich aufstehen!“, stieß ich gepresst hervor, da ihr Gewicht mir schwer auf die Brust drückte.
„Alasdair? Du hast mit ihm gesprochen, wie ich es ihm vorhergesagt habe? In der Zeit, die weit vor uns liegt?“
Ich drückte ihren Arm beiseite und rieb mir die Kehle. Sie würde mich wohl nicht töten, ehe sie ihre Antworten bekommen hatte.
„Du hast ihm gesagt, ich wäre euer Schlüssel zum Glück! So ein Schwachsinn! Dort, wo ich herkomme – und wo der Wikinger auf ein Wunder hofft –, lebst du längst nicht mehr.“
Sie sah auf mich herab, als überlegte sie, mich zu töten, erhob sich aber schließlich und strich sich das Kleid glatt. Sobald sie von mir herunter war, sprang ich auf und riss mit zitternden Fingern meinen Dolch aus dem Gürtel. Auch wenn ich sie nicht würde töten können, schien der Fluch in meiner Nähe zumindest geschwächt – ich könnte sie also zumindest verletzen.
„Scheiße! Du bist doch vollkommen irre!“, schrie ich. „Was willst du denn eigentlich von mir? Ich check nicht, warum du mir auflauerst und mich mit deinen Fragen löcherst. Wenn du mich umbringen willst, warum machst du es dann nicht? Wir wissen beide, dass ich keine Chance gegen dich habe. Ich hatte gedacht, diese … Verbindung zwischen uns … du hast selbst gesagt, das Schicksal hat uns zusammengeführt … Ich dachte, wir sollten darüber sprechen!“
Ich fuchtelte mit dem Dolch herum und fragte mich, wie ich je hatte glauben können, die Waffe könnte mich schützen.
Nathaira sah mich mit großen Augen an. Um uns herum herrschte Dunkelheit. Die Nacht war hereingebrochen, und wir befanden uns noch immer an der Grenze zwischen den beiden Ländereien. Ob der Vikar Payton bereits gefunden und meine Nachricht überbracht hatte? War er vielleicht längst auf dem Weg zu meiner Rettung?
Nathaira drückte mir die Zügel meines Pferdes in die Hand und nickte.
„Du hast recht, Samantha. Uns verbindet etwas. Es ist so mächtig, dass ich es nicht wage, dich zu töten – auch wenn es mich danach verlangt.“ Sie sah in den Himmel und überlegte. „Ich kenne einen Ort, an dem wir ungestört sind.“
Ich lachte. „Du denkst, ich komme freiwillig mit dir? Hast du dir etwa gerade nicht zugehört? Dich verlangt es danach, mich zu töten – das waren doch deine Worte!“
„Dir droht keine Gefahr“, versprach sie.
„Warum nicht hier? Wir könnten ein Feuer machen“, schlug ich vor.
Nathairas Blick glitt über die nächtliche Landschaft, dann schüttelte sie den Kopf.
„Interessanter Vorschlag, aber ich werde die McLeans nicht durch ein Feuer zu uns führen. Du hast mein Wort, dass dir nichts geschieht, wenn du mit mir kommst. Außerdem naht ein Sturm.“
Alle meine Sinne waren auf Verteidigung eingestellt, als ich hinter der Hexe durch die Nacht ritt. Keine von uns hatte in den letzten Minuten etwas gesagt. Ich konzentrierte mich auf das unwegsame Gelände und malte mir dabei aus, auf welche Weise sie mich umbringen würde. Obwohl sie mir ihr Wort gegeben hatte, hielt ich es für unwahrscheinlich, dass sie mich einfach wieder würde gehen lassen.
Der Weg führte uns hügelaufwärts, und mein Pferd hatte auf dem losen, steinigen Untergrund Mühe voranzukommen. Mit einem letzten Satz erreichten wir die Hügelkuppe, und ich sah mich dem Ort gegenüber, den Nathaira ausgewählt hatte.
Wie sie ließ ich mich aus dem Sattel gleiten und führte das Pferd bis an die etwa acht Meter über mir aufragenden Mauern.
Ein Broch.
Ich hatte bereits eine dieser turmähnlichen Bauten gesehen, als ich während meines Schüleraustauschs mit Roy im Auto unterwegs gewesen war. Er hatte mir erzählt, dass – auch wenn viele das glaubten – nicht die Pikten diese Steintürme errichtet hätten, da sie in Wahrheit noch viel älter wären.
Nathaira führte ihr Pferd durch den schmalen Eingang und verschwand im Inneren des dachlosen und an der Westseite bereits eingestürzten Bauwerks.
Die Grundfläche war enorm, und ich schätzte sie nicht viel kleiner als beim Haus meiner Eltern in Delaware. Aber wegen der meterdicken doppelwandigen Außenmauern aus trocken aufeinandergestapelten Steinen war im Inneren nur noch so viel Platz wie in
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