Das Vermaechtnis
ließ seinen Bruder stehen und trat mit erhobenem Haupt und großem Respekt auf seinen Vater zu. Tränen trübten seinen Blick, als er dessen Hand griff und niederkniete.
„ M‘athair. Tha mi duilich .“ Er küsste ihm die Hand und sah ihm ins Gesicht. „ Gabh mo leisgeul “, flehte er um Vergebung.
Fingal sah verwirrt aus. Seine Hand zitterte in Paytons, und ein Muskel an seinem Kiefer zuckte vor Anspannung. Seans unverhohlen neugieriger Blick brannte sich Payton in den Rücken, aber er würde sich nicht erheben, ehe er eine Antwort auf seine Bitte erhalten hatte.
Fingal zog seine Hand zurück, sah ihn aber unverwandt an.
„Was ist hier los?“, verlangte er zu erfahren. Er hob die Hand, und Payton zuckte vor dem drohenden Schlag zurück – aber der blieb aus. Stattdessen wischte Fingal ihm eine Träne von der Wange. Seine Stimme zitterte, als er seine Frage wiederholte: „Was soll das, mo bailaich ?“
Paytons Kehle war wund, wie zugeschnürt. Kein Laut mochte ihm entweichen, und seine Brust fühlte sich wie eingedrückt an. Mein Junge! – Seit der Nacht von Vanoras Fluch hatte Fingal keinen von ihnen je wieder als seinen Sohn bezeichnet.
Auch Sean war inzwischen näher gekommen und wartete ebenso gespannt auf eine Erklärung.
„Vater, ich …“ Payton schluckte, aber sein Hals wurde nur noch enger. „… ich weiß, es ist zu spät für Entschuldigungen, aber bei all der Liebe, die du mich als Junge immer hast spüren lassen, bitte ich dich um Vergebung. Ich knie hier vor dir als dieser Knabe, aber auch als der Mann, der einen schrecklichen Fehler gemacht hat. Der deine Achtung und dein Vertrauen verraten hat. Ich knie hier vor dir als der Mann, der den Hass besiegt hat und aus tiefstem Herzen bereut, was er getan hat.“
Payton zog seinen Sgian dhu und führte die Klinge über seine Handfläche, ehe er Fingal die blutige Waffe darbot. „Bei meinem Blut, Vater, knie ich hier und erflehe deine Vergebung.“
Fair Isle, Insel der Hexen.
Insel der weisen Frauen, die die Macht besaßen, sich die Kräfte der Natur zu eigen zu machen. Diese Gabe war es, die vor vielen Jahren kriegerische Schiffe hierher lockte, um die mächtigen Frauen zu verschleppen und zum Werkzeug kaltblütiger Männer zu machen. Und ihre Macht war es auch, die heute erneut einen Mann über das Meer zu ihnen lockte.
Das lange Haar peitschte Payton ins Gesicht, und die Gischt spie ihm wie Sprühregen entgegen. Das Salz auf seinen Lippen schmeckte nach Tränen, und er wünschte, es wären seine. Er hätte liebend gerne einen ganzen Ozean an Tränen vergossen, wenn es bedeuten würde, endlich wieder zu fühlen.
Die kleine Nussschale unter ihm wankte gefährlich, als er die Ruder einholte, um sich das letzte Stück von der Strömung nach Fair Isle treiben zu lassen.
Immer wieder versuchte er, sich den unfassbaren Schmerz in Erinnerung zu rufen, den er in Craig Liath Wood verspürt hatte. Es war ihm ein Rätsel, was dort mit ihm geschehen war. Das Bild des vorbeirumpelnden Ochsenkarrens hatte sich, wie in Stein gemeißelt, in sein Gedächtnis gegraben. Als läge des Rätsels Lösung unter den Rüben begraben!
Payton sah in den Himmel. Der Stand der Sonne war gut auszumachen, denn der Seewind trieb die Wolken nur so dahin. Es war früher Nachmittag, als er die steinige Küste der Insel erreichte. Der Wind und das Wasser fraßen sich in den Fels und höhlten ihn aus. Gebilde, wie von Künstlerhand geschaffen, säumten das Flachwasser, und seidenglatt geschliffene Steine waren zu einem Damm gegen die Fluten aufgetürmt.
Der Schrei Hunderter Seevögel, die zwischen den Felsen nisteten, erfüllte die Luft. Je näher Payton kam, desto bedrohlicher wirkte ihr anschwellendes Gekreische. Als warnten sie ihn, sich mit den Hexen von Fair Isle anzulegen. Würde er sich mit ihnen anlegen, um aus dieser Existenz ohne Gefühle, ohne wirkliches Leben erlöst zu werden?
Er überlegte noch, wie weit er gehen würde, um seine Seele zu erretten, als er ins knietiefe Wasser sprang und das Boot hinter sich an den Strand zog.
Dieser Schmerz vor wenigen Tagen hatte ihn hungrig gemacht. Hungrig und verzweifelt war er zurück in den grauen Nebel seines Daseins gestoßen worden und sah keine Möglichkeit, sich je daraus zu befreien. In Momenten wie diesem fragte er sich, ob es Sam je wirklich gegeben hatte oder sie nur ein Produkt seiner Fantasie gewesen war. Sie war wie ein Licht, das ihm nun verborgen war, wie ein Duft, der selbst in der
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