Das Vermaechtnis
einem Lederband zusammen und rückte sich das Plaid an der Schulter zurecht. Er wollte einen guten Eindruck machen, denn sein Schicksal stand auf dem Spiel.
Er sah sich um und fragte sich, in wessen Hütte man ihn gebracht hatte. Es sah nicht so aus, als gäbe es hier einen Laird. Wenn das Inselvolk ein Oberhaupt haben sollte, dann lebte er doch sicher nicht in so einer einfachen Kate. Andererseits hatte er kein Gebäude gesehen, das sich von den anderen abhob. Hier jedenfalls köchelte eine Art Eintopf über dem Feuer, und in einem anderen Kessel schmorte Fleisch. In der Ecke der Kate stand ein Korb mit Rohwolle und eine Handspindel, auf der sich bereits gesponnene Wolle befand, und etliche Knäuel Wolle in verschiedenen Erdfarben lagen in einem Körbchen daneben. Dies war das Reich einer Frau, und Payton überlegte, ob die Inselbewohner, denen er bei seiner Ankunft begegnet war, ihn vielleicht falsch verstanden hatten.
Neugierig zog er den Becher zu sich heran und schwenkte ihn, sodass die dickliche Flüssigkeit darin schwappte. Er rümpfte die Nase und schob ihn von sich, als sich die Tür öffnete und der Luftzug, der hereinwehte, den bitteren Geruch vertrieb. Eine alte Frau mit hüftlangem, schlohweißem Haar und einer Haut, die durchscheinend wie Pergament war, trat ein. Ihre Augen hatten die Farbe von grauem Achat, und es kam Payton vor, als hielte sie ihm nur, indem sie ihn ansah, einen Spiegel vor. Sie musste sehr alt sein, aber sie bewegte sich mit der Sicherheit einer jungen Frau, die nichts fürchtete.
„Latha math“, grüßte sie lächelnd und trat an den Kessel mit dem Eintopf. Sie nahm einen großen Holzlöffel und rührte die dampfende Masse einige Male um, ehe sie sich zu Payton umwandte. „Ich bin Beathas.“
Höflich erhob sich Payton und verneigte sich leicht.
„Mein Name ist Payton McLean. Ich komme aus Burragh und ersuche eure Hilfe.“
Ihre Augen funkelten. „Ich weiß. Ich habe dich kommen sehen.“
„Du hast mich kommen sehen?“
Ihr Lachen war wie der Flügelschlag eines Schmetterlings. Leicht und sorglos.
„Natürlich. Ich sehe alles.“ Sie setzte sich auf den Schemel und griff nach der Spindel und dem losen Ende der Rohwolle. „Aber ich habe nicht so früh mit dir gerechnet. Was kann ich also für dich tun?“
Payton war verwirrt. Die Frau mit den geheimnisvollen Augen sprach in Rätseln, und, je länger sie ihn ansah, umso unsicherer wurde er, was ihr Alter anging. Ihr Blick war wissend wie der einer sehr betagten Frau, aber er leuchtete wie bei einem jungen Mädchen.
Wo sollte er mit seiner Geschichte beginnen, und würde sie auch nur ein Wort von dem verstehen, was er ihr begreiflich zu machen versuchte? Und … die wichtigste aller Fragen … konnte sie ihm überhaupt helfen?
Sie hatte begonnen, Drall auf die Spindel zu geben und den bereits gesponnenen Faden mit dem losen Ansatz der Rohwolle zu verbinden. Nun gab sie Stück für Stück Wolle nach, die sich durch die Drehung der Spindel zu einem festen Garn verband.
„Ich kann dir die Fragen in deinem Kopf nicht beantworten, Payton McLean von Burragh. Du musst mir den Blick in deine Seele erlauben, um Antworten zu bekommen.“
Payton straffte die Schultern. Diese Frau war keine gewöhnliche Frau. Sie musste, genau wie Vanora, eine Hexe sein. Eine mächtige Fair-Hexe. Wenn es überhaupt Hoffnung für ihn gab, dann hier. Seine Erlösung lag in den Händen dieser ätherischen Frau.
„Du willst mir in die Seele blicken? Dann tue es“, bat er.
Beathas deutete mit einem Nicken auf den Becher vor ihm. „Trink das und versuche, dich mir zu öffnen. Eine Seele ist nicht leicht zu ergründen. Das braucht Zeit. Aber für uns beide ist Zeit ohnehin unendlich.“
Als Payton fragen wollte, was sie damit meinte, wandte sie sich ihrer Wolle zu.
„ Slàinte , Payton McLean!“
Er hob den Becher und stürzte das trübe Gebräu hinunter. Er schmeckte nichts, da der Fluch ihm auch dies verwehrte, spürte aber dennoch die bittere Galle, die ihm im Magen aufstieg und den scharfen Dampf, der ihm in den Kopf stieg. Bitter, nicht im Geschmack, sondern in seiner Wirkung, brannte es sich in seine Eingeweide und durchbrach sein Fleisch. Als löste er sich auf, verschwamm ihm die Welt vor Augen, und nur die leise Melodie, die Beathas bei ihrer Spinnarbeit summte, drang in sein Bewusstsein. Ihre Stimme war wie ein Schlüssel, der mühelos die Tore zu seiner Seele öffnete.
„Diese feigen Mörder! Dafür werden sie büßen!“,
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