Das Vermaechtnis der Drachenreiter
erfuhren. Deshalb wollte er den Augenblick der Wahrheit lieber noch eine Weile aufschieben. Er sagte sich, dass es besser wäre zu warten, bis ein Zeichen den richtigen Zeitpunkt bestimmen würde.
Am Abend bevor Roran aufbrechen wollte, ging Eragon zu ihm, um mit ihm zu reden. Auf leisen Sohlen schlich er durch den Flur zu Rorans offener Tür. Auf dem Nachttisch stand eine Öllampe, deren Widerschein flackernd an den Wänden tanzte. Die Bettpfosten warfen längliche Schatten auf das leere Regal, das bis unter die Decke reichte. Roran wickelte mit düsterem Blick und angespanntem Nacken seine Kleider und Habseligkeiten in eine Decke ein. Er hielt inne, dann nahm er etwas vom Kissen und wog es in der Hand. Es war ein polierter Stein, den Eragon ihm vor Jahren geschenkt hatte. Er wollte ihn in das Bündel stopfen, dann überlegte er es sich anders und legte ihn in das ansonsten leere Regal zurück. Eragon, einen Kloß im Hals, machte leise kehrt.
FREMDE IN CARVAHALL
Das Frühstück war kalt, aber der Tee war heiß. Das morgendliche Feuer hatte das Eis an den Innenseiten der Fensterscheiben schmelzen lassen; das Wasser sickerte in den Holzboden ein und bildete dort dunkle Flecken. Eragon beobachtete Garrow und Roran, die am Küchenofen standen, und überlegte, dass dies für viele Monate das letzte Mal sein würde, dass er sie zusammen sah.
Roran setzte sich auf einen Stuhl und schnürte seine Stiefel, den voll gepackten Rucksack neben sich am Boden. Garrow stand zwischen ihnen, die Hände tief in den Hosentaschen vergraben. Das Hemd hing ihm aus der Hose und er sah abgespannt aus. Trotz der drängenden Bitten der beiden jungen Männer weigerte er sich, sie zu begleiten. Nach dem Grund dafür gefragt, sagte er nur, dass es so am besten sei.
»Hast du alles?«, fragte Garrow Roran.
»Ja.«
Er nickte und zog einen kleinen Beutel aus der Hosentasche. Münzen klimperten, als er ihn Roran hinhielt. »Das habe ich für dich gespart. Es ist nicht viel, aber für ein bisschen Flitterkram oder andere Kleinigkeiten wird es reichen.«
»Vielen Dank, aber ich werde mein Geld nicht für unnützes Zeug ausgeben«, sagte Roran.
»Tu damit, was du willst; es gehört dir«, sagte Garrow. »Mehr kann ich dir nicht geben, außer meinem väterlichen Segen. Nimm ihn mit, wenn du möchtest, aber dafür kannst du dir nichts kaufen.«
Rorans Stimme war belegt vor Rührung. »Ich fühle mich geehrt, deinen Segen zu haben.«
»Dann geh jetzt und geh in Frieden«, sagte Garrow und küsste ihn auf die Stirn. Er wandte sich um und sagte mit lauter Stimme: »Glaub ja nicht, ich hätte dich vergessen, Eragon. Ich habe euch beiden etwas zu sagen. Es ist an der Zeit, dass ich euch einige Worte mit auf den Weg gebe, da ihr euch nun in die Welt der Erwachsenen begebt. Beherzigt meine Worte, dann werden sie euch sicher durchs Leben geleiten.« Er richtete seinen ernsten Blick auf sie. »Erstens, lasst nie jemanden euren Geist oder Körper beherrschen. Gebt besonders Acht darauf, dass eure Gedanken eigenständig bleiben. Man kann ein freier Mensch sein und dennoch angekettet wie ein Sklave. Schenkt den Menschen Gehör, aber nicht euer Herz. Zollt den Machthabern Respekt, aber folgt ihnen nicht blind. Urteilt mit Logik und Vernunft, aber enthaltet euch jeglichen Kommentars.
Betrachtet niemanden als euch überlegen, ganz gleich welchen Rang er bekleidet oder was er im Leben erreicht hat. Seid gerecht zu den Menschen, sonst werden sie nach Vergeltung trachten. Geht vorsichtig mit eurem Geld um. Haltet an eurem Glauben fest, sodass andere euren Worten Gewicht beimessen.« Er sprach etwas langsamer weiter. »Und was die Liebe betrifft … Mein einziger Rat ist: Seid ehrlich. Das ist euer mächtigstes Werkzeug, um ein Herz zu öffnen oder Vergebung zu erlangen. Das ist alles, was ich euch zu sagen habe.« Er schien etwas verlegen ob seiner Ansprache.
Dann hob er den Rucksack hoch. »Ihr müsst jetzt aufbrechen. Der Sonnenaufgang naht und Dempton wird schon warten.«
Roran schulterte den Rucksack und umarmte seinen Vater. »Ich komme zurück, sobald ich kann«, sagte er.
»Gut!«, entgegnete Garrow. »Aber nun geh und sorge dich nicht um uns.«
Widerwillig lösten sie die Umarmung. Eragon und Roran gingen nach draußen, dann drehten sie sich um und winkten. Garrow hob eine knochige Hand und schaute ihnen mit ernstem Blick hinterher, während sie zur Straße trotteten. Nach einer Weile schloss er die Tür. Als das Geräusch durch die
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