Das Vermaechtnis der Drachenreiter
eine Sprungfeder. Es war noch früh am Morgen; er hatte nur wenige Stunden geschlafen. Nichts ist gefährlicher als ein Gegner, der nichts mehr zu verlieren hat, sagte er sich. Und genau das ist aus mir geworden.
Gestern war es ihm noch schwer gefallen, sich auf den Beinen zu halten, nun aber bewegte er sich mit frischer Entschlossenheit, angetrieben von seinem eisernen Willen. Den Schmerz, den ihm sein Körper signalisierte, beachtete er gar nicht.
Als er durch das Haus schlich, hörte er das Gemurmel zweier Menschen, die sich unterhielten. Neugierig blieb er stehen und lauschte. Elain sagte mit ihrer sanften Stimme: »… genug Platz. Er kann ruhig bei uns wohnen.« Mit seiner tiefen Stimme entgegnete Horst etwas, das Eragon nicht verstand. »Ja, der arme Junge«, erwiderte Elain.
Diesmal verstand Eragon Horsts Antwort. »Möglicherweise …« Es folgte eine lange Pause. »Ich habe darüber nachgedacht, was Eragon gesagt hat, und ich bin mir nicht sicher, ob er uns wirklich alles erzählt hat.«
»Wie meinst du das?«, fragte Elain. Besorgnis lag in ihrer Stimme.
»Als wir zu ihrem Hof gingen, war der Weg platt gedrückt von dem Brett, auf dem er Garrow zog. Dann kamen wir an eine Stelle, wo der Schnee völlig aufgewühlt war. Seine Stiefelspuren und die Spuren des Brettes endeten dort, aber da waren dieselben riesigen Fußspuren wie auf dem Hof. Und was ist mit seinen Beinen? Ich kann einfach nicht glauben, dass er sich, ohne es zu merken, die ganze Haut abgeschürft hat. Ich wollte ihn gestern nicht bedrängen, aber nachher werde ich ihn mir noch einmal vornehmen.«
»Vielleicht hat das, was er gesehen hat, ihm so große Angst ein-gejagt, dass er nicht darüber reden möchte«, meinte Elain. »Du hast doch gesehen, wie durcheinander er war.«
»Das erklärt trotzdem nicht, wie er Garrow fast den ganzen Weg nach Carvahall geschleppt hat, ohne Spuren zu hinterlassen.«
Saphira hat Recht, dachte Eragon. Es ist Zeit zu gehen. Die Leute werden mir langsam zu misstrauisch. Früher oder später werden sie auf die Wahrheit stoßen. Er schlich weiter zur Haustür und zuckte jedes Mal zusammen, wenn der Fußboden knarrte.
Die Straßen waren menschenleer. Zu dieser frühen Stunde war noch niemand unterwegs. Er blieb einen Moment lang stehen und zwang sich nachzudenken. Ein Pferd werde ich nicht benötigen. Saphira wird mich tragen, aber sie braucht einen Sattel. Sie kann für uns beide jagen, also muss ich mir übers Essen keine Gedanken machen - doch ich sollte mir trotzdem etwas Proviant besorgen. Was ich sonst noch brauche, finde ich unter den Trümmern unseres Hauses.
Er ging zu Gedrics Gerberei am Rande von Carvahall. Es wurde ihm fast übel von dem scheußlichen Gestank, der ihm dort entgegenschlug, aber er marschierte tapfer weiter auf den seitlich in einen Hügel gebauten Verschlag zu, in dem die getrockneten Häute aufbewahrt wurden. Er schnitt drei große, von der Decke herabhängende Rinderhäute ab. Dabei überkam ihn ein schlechtes Gewissen, aber er sagte sich: Eigentlich ist es ja kein Diebstahl. Eines Tages werde ich Gedric bezahlen und Horst auch. Er rollte die dicken Lederhäute zusammen und brachte sie in einen kleinen Hain außerhalb des Dorfes. Dort versteckte er sie im Geäst eines Baums und kehrte anschließend nach Carvahall zurück.
Und jetzt noch der Proviant. Er nahm Kurs auf Morns Schankhaus, um sich dort etwas zu besorgen, aber dann verzog er die Lippen zu einem schmalen Lächeln, machte kehrt und ging in die entgegengesetzte Richtung. Wenn er schon stehlen musste, dann lieber von Sloan. Er schlich sich zum Haus des Metzgers. Die Vordertür war fest verriegelt, wenn Sloan nicht da war, aber den Seiteneingang sicherte nur eine dünne Kette, die sich leicht öffnen ließ. Drinnen war es stockfinster. Er tastete blind herum, bis seine Hände gegen einen Stapel mit eingepacktem Fleisch stießen. Er stopfte so viel wie möglich in sein Wams, dann lief er zurück auf die Straße und schloss verstohlen die Tür hinter sich.
In der Nähe rief eine Frau seinen Namen. Er schlang die Arme um den unteren Rand seines Wamses, damit das Fleisch nicht herausfiel, und duckte sich hinter einer Hausecke. Zitternd sah er keine zehn Fuß von ihm entfernt Horst vorbeistiefeln.
Eragon rannte los, sobald Horst außer Sichtweite war. Seine Beine brannten, während er eine Gasse entlangstürmte und den Weg zurück zum Hain einschlug. Er verschwand zwischen den Bäumen, dann drehte er sich um und schaute, ob
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