Das Vermächtnis der Feen (German Edition)
fragend an. »Was wollte er denn von dir, Dorothy?«
»Pah!« Moma rang um Beherrschung. »Er hat Josie kein Wort geglaubt. Er hält sie für – wie hat er sich ausgedrückt? – pubertär überspannt, eher ein Fall für den Psychiater als für die Polizei. Das war Version eins.« Sie schüttelte verärgert den Kopf. »Version zwei war nicht viel besser. Er hält es für möglich, dass Amy ausgerissen ist, um nicht zu ihren Verwandten zu müssen – und dass Josie ihre Freundin deckt. Ausreißer gäbe es in dieser Altersgruppe sehr häufig. In der Regel würden sie bald wieder auftauchen, spätestens nach einer Woche.«
Josie unterdrückte eine Ich-hab’s-doch-gleich-gesagt-Miene. »Hast du ihm erzählt, dass wir verwandt sind?«
Moma lachte bitter. »Was man durch einen Gentest natürlich hieb- und stichfest beweisen kann.« Sie wandte sich gestikulierend an einen imaginären Gesprächspartner. »Nein, Superintendent Scott, schriftlich hab ich es nicht, dass das Mädchen die Enkelin meiner Halbschwester ist – die übrigens auch verschwunden ist. Wie? Fragen Sie mich besser nicht! – Was meinen Sie? Nein, ich habe mir das nicht ausgedacht …!« Sie schnaubte wütend.
Der Professor legte beschwichtigend die Hand auf ihren Arm. »Dorothy, wie ich schon gestern gesagt habe – dieser Fall ist nicht von dieser Welt.«
»Was soll denn jetzt geschehen?« In Momas Stimme schwang tiefe Verunsicherung.
Aaron O’Reardon öffnete die Beifahrertür seines alten MGs. »Steig ein, Dorothy! Das werden wir wohl abwarten müssen.«
Mit zugekniffenem Mund stieg Moma in den Wagen.
Nachdem sie den lästigen Besuch bei der Polizei hinter sich gebracht hatte, ließ sich Josie während der Heimfahrt von der irischen Landschaft bezaubern. Ein Bach begleitete die Straße, rechts und links Wiesen, vereinzelte Getreidefelder. Im Hintergrund ein Wald, der verschwenderisch in allen nur denkbaren Grüntönen changierte. Im Norden eine sanft ansteigende Hügelkette. In der Ferne grasten Schafe zwischen halbhohen Feldsteinmauern und Weißdornhecken.
An einer Kreuzung deutete der Professor auf ein Schild. »Hier geht es nach Brug na Boinne, besser bekannt als New Grange – der größte Sidhe-Hügel Irlands. Aber hier in der Nähe gibt es auch noch andere urzeitliche Hügelanlagen, viele wurden als Gräber genutzt, Dowth und Knowth zum Beispiel – alles sehr touristisch heutzutage. Mit Bussen werden die Leute hingekarrt. Kann mir kaum vorstellen, dass das Stille Volk den Rummel vertragen kann.«
»Das Stille Volk?«, erkundigte sich Josie.
Ihre Großmutter nickte ihr durch den Rückspiegel zu. »Das Stille Volk , das Kleine Volk – es gibt viele Umschreibungen für die Bewohner der Anderwelt.«
Springwood Manor, das schöne alte Haus des Professors, stand etwa drei Meilen außerhalb Galbridges, mitten im Grünen und ganz in der Nähe des Waldes, der ihm seinen Namen lieh. Josie betrachtete das Gebäude aufmerksam. In der vergangenen Nacht hatte sie rein gar nichts davon mitbekommen. Sie erinnerte sich nicht einmal daran, wie sie aus dem Wagen ihrer Samariterin aufs Sofa gekommen war, so erschöpft war sie gewesen.
Was für ein hübscher Anblick! Das Anwesen schien in guter Freundschaft mit seiner Umgebung zu stehen. An der Fassade aus grauem Naturstein rankten zwischen weiß gestrichenen Sprossenfenstern Kletterrosen empor. Über der knallroten Eingangstür, die rechts und links von zwei weißen Säulen flankiert wurde, öffnete sich ein verglaster Spitzbogen. Darüber ein steinernes Wappen.
Sie beugte sich etwas vor. »Wie alt ist Springwood Manor?«
»Es wurde zur Regierungszeit König Georgs des Ersten erbaut – übrigens ein Deutscher.« Der Professor lachte. »Leider konnte er nicht halb so gut Englisch wie ihr zwei, womit er sich nicht eben beliebt gemacht hat. Ein Vorfahr, Conall O’Reardon, hat das Haus 1718 bauen lassen. Seither ist es in Familienbesitz. Er soll den Platz ausgewählt haben, weil hier angeblich ein alter Ogham-Stein gestanden hat.«
»Was ist das denn?«
»Steine mit uralten Schriftzeichen, der sogenannten Ogham-Schrift. Die ältesten stammen aus dem vierten Jahrhundert. Das Ogham-Alphabet besteht aus Strichen und wurde hauptsächlich zur Notierung von Namen benutzt, zum Beispiel bei Grabsteinen oder um anzugeben, wem ein Stück Land gehörte. Aber es soll auch Steine geben, die magische Bedeutung haben, jedenfalls ist in einigen altirischen Sagen davon die Rede.«
Josie lehnte
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